Als wir an diesem Morgen aufstehen, sind von unserem Balkon aus die ersten Sonnenstrahlen sichtbar und
versprechen uns einen schönen Urlaubstag. Wir pilgern in den Aussichtspavillon, wo Sofia mit dem
Frühstück aufwartet. Dann machen wir uns zu unserer ersten Wanderung auf. Einem leider schon etwas veralteten
Wanderführer von Sunflower Books,
den ich mir in der heimischen Stadtbücherei ausgeliehen habe, entnehmen wir die Wegbeschreibung, die uns
über
Pélekas, den
Glifada Beach bis zum
Kloster Myrtiótissa
führen soll. Begleitet von einem Mix aus
Sonne und Wolken stapfen wir die Straße in Richtung Pélekas hinauf. Da wir diesen Weg am Vortag ja bereits
entlang gegangen sind, bilde ich mir an einer bestimmten Kehre ein, ihn durch einen Abstecher querfeldein
abkürzen zu können. Doch der Straßenabschnitt, den ich von unten zu erkennen glaube, erweist sich nicht als
die Fortsetzung der Straße nach Pélekas, sondern als ein von ihr abzweigender Privatweg, an dessen Ende mich
auch noch ein Maschendrahtzaun an der Rückkehr auf die eigentliche Straße behindert. Während Kordula also
schon fast oben auf dem Berg ist, muss ich noch den dämlichen Zaum überwinden, was mir ohne die Verbreitung
eleganter Ausstrahlung, dafür wenigstens verletzungsfrei gelingt.
In Pélekas
angelangt, decken wir uns in einem kleinen Laden erst einmal mit Brot ein. Dabei treffen wir
auf eine Gruppe israelischer Wanderer, die wie wir am Vortag auf Korfu angelangt ist, in Pélekas übernachtet
hat und sich nun in dem Laden Auskünfte oder besser noch eine Karte über den Corfu-Trail zu ergattern erhofft,
dem sie währed der nächsten Tage nordwärts folgen will. Der Corfu-Trail ist ein Wanderweg, der sich von Nord nach Süd über
die gesamte Insel schlängelt und dabei die schönsten Landschaftsabschnitte und Aussichtspunkte miteinander
verbindet. Bezeichnenderweise wurde er von einer Britin ins Leben gerufen, da dem Griechen als solchen
die Wanderslust nicht gerade in die Wiege gelegt ist. Warum man jedoch auf Korfu selbst kaum eine Möglichkeit
findet, an Informationen oder gar Kartenmaterial über den Corfu-Trail zu gelangen, bleibt das unergründliche
Geheimnis der kommunalen Touristenverbände, die in dem blinden Vertrauen auf die Attraktivität ihrer Insel
als Sommerbade- und Partydomizil ihren wahrscheinlich noch viel größeren Wert als das Wanderparadies, das
sie ist, verkennen und sich leider auch nicht um die Verwirklichung oder Erhaltung einer durchgängigen
Wegmarkierung bemühen. Die einzige Informationsquelle über den Corfu-Trail, die ich im Vorfeld unseres
Urlaubs gefunden habe, ist die
offizielle Internetseite.
Deren Informationsgehalt war zumindest im
Frühjahr 2006 allerdings mehr als dürftig, zumal das auf der Seite beschriebene Informations- und
Kartenmaterial zu diesem Zeitpunkt angeblich nicht mehr vorrätig war.
Es ist also nicht überraschend, dass unsere Israelis unverrichteter Dinge wieder aus dem Laden
herauskommen. Anhand unseres Wanderführers, in dem der Verlauf des Trails im Raum Pélekas immerhin grob
skizziert ist, können wir ihnen immerhin ein paar Anhaltspunkte liefern. Nachdem wir uns von ihnen
verabschiedet haben und unseren Weg fortsetzen, treffen wir dann am nordwestlichen Ortsausgang
überraschenderweise selbst auf Markierungen des Trails. Am südlichen Ortsausgang sucht man sie nebenbei
bemerkt vergeblich. Wir folgen dem kleinen unterhalb der Straße verlaufenden Pfad bergabwärts. In einer
Kurve treffen wir wieder auf die Straße, die sich hier gabelt und nach links zum
Glifada Beach
hinabführt.
Schließlich stehen wir an dem langgestreckten, schönen Strandabschnitt, dessen verlassen daliegende
Einrichtungen jedoch auch hier eine fast bedrückende, vorsaisonale Leblosigkeit verströmen. Die Pause, die
wir einlegen, wird uns bald durch den heftig auffrischenden Wind und die Sandwolken, die er uns in die
Gesichter wirbelt, vergällt.
Die anschließende Suche nach dem in unserem Wanderführer skizzierten Weg zum
benachbarten Myrtiótissa Beach erweist sich dann als langwierig. Vom nördlichen Strandende soll ein Pfad
von der Straße in Richtung Norden abzweigen. Doch der einzige Pfad den wir finden, verliert sich hinter einer
Gruppe von Häusern nach wenigen hundert Metern im Dickicht. Schließlich kapitulieren wir und setzen unseren
Weg entlang der in zahlreichen Kehren bergauf führenden Straße fort. In einer von ihnen zweigt ein Schotterweg
nach Nordwesten ab. Hier probieren wir unser Glück noch einmal — mit hohem Einsatz, denn der Weg ist enorm
steil und kräftezehrend. Doch wir haben Erfolg. Zum einen finden wir ein
schönes Plätzchen
mit wunderschöner
Aussicht, wo wir unsere im "Sandsturm" abgebrochene Mittagspause nachholen können. Zum anderen finden wir hier
nach unserer Rast tatsächlich den Weg nach Myrtiótissa, wenn wahrscheinlich auch nicht den in unserem
Wanderführer skizzierten. Auf dem Bergrücken queren wir einen Pfad, gehen geradeaus weiter, nun wieder bergab
und treffen bei einem kleinen, zu dieser Jahreszeit leider geschlossenen Restaurant auf die Straße, die
hinunter zum
Myrtiótissa Beach
führt. Dort treffen wir zwei bekannte Gesichter, ein Pärchen, das wir am
Morgen beim Frühstück im Aussichtspavillon des Bella Vista gesehen haben. Sie heißen Kai und Martin, doch
das werden wir erst zu einem späteren Zeitpunkt erfahren.
Der Strand von Myrtiótissa ist auch in unserem Wanderführer abgebildet. Als wir nun die Stelle erreichen,
von der aus dieses Foto geschossen wurde, ist er jedoch kaum wiederzuerkennen. Der anrollenden Wellen haben
den schmalen sandigen Bereich nahezu komplett überspült und umtosen nun die Felsblöcke direkt unterhalb der
Straße. Wir bleiben deshalb auf der Straße, die am Nordende des Strands in einen ungeteerten Fahrweg
übergeht, der bald darauf am
Kloster Myrtiótissa
endet.
Hinter dem Kloster windet sich ein schmaler, zunächst nur leicht bergauf führender, sehr schöner Pfad
durch niedrige Vegetation. Nach wenigen Kilometern wendet er sich nach rechts und führt nun, einen
verlassenen kleinen
Weiler
passierend, immer steiler den Berg hinauf. Die großartigen Panoramen, die sich
uns eröffnen, entschädigen uns für unsere Anstrengungen mehr als großzügig. Von hier können wir bis zum
Pélekas Beach
zurückblicken, von wo wir am Morgen aufgebrochen sind. Wir kommen an einem
Sendemast
vorbei,
von wo aus der Weg auf die dem Landesinneren zugewandten Seite des Berges führt. Ab nun geht es wieder bergab,
und bald erreichen wir wieder ein kleines Örtchen. Es ist
Vatos,
und hier treffen wir auch die isrealische
Wandergruppe von heute Morgen wieder. Immerhin sind sie in ihrem Vorhaben, dem Corfu-Trail nordwärts zu folgen,
ein gutes Stück vorangekommen, auch wenn sie ihr ursprünglich weiter im Norden liegendes Tagesetappenziel
revidiert haben und nun in Vatos übernachten wollen. Uns macht dies auf unschöne Weise deutlich, dass wir
noch ein ordentliches Stück Weg vor uns haben, wenn wir zu Fuß zum Bella Vista zurück wollen.
Irgendwo nett einen Kaffee zu trinken, ist in Vatos aufgrund des nicht vorhandenen Angebots nicht möglich,
und so sind wir schon bald wieder auf dem Weg nach Süden. Diesmal nehmen wir die kürzere Strecke entlang der
Straße, was sich allerdings keineswegs, wie von mir befürchtet, als Nachteil erweist, da das enge Sträßchen
zwischen Vatos und Pélekas wenig befahren ist. Zudem eröffnet uns dieser dem Landesinneren zugewandte
Wegabschnitt ganz andere, nicht minder schöne Perspektiven auf die Insel. Nach einigen Kilometern erreichen
wir die uns schon bekannte Stelle, wo die Straße zum
Glifada Beach
abzweigt. Nun befinden wir uns also
wieder auf dem Corfu-Trail, der uns auf dem selben Weg nach
Pélekas
hineinführt, auf dem wir es am Morgen
verlassen haben.
Am nördlichen Ortseingang ist nach rechts ein Weg zum Pélekas Beach ausgeschildert, den wir noch nicht kennen
und dem wir jetzt den Vorzug vor der uns bekannten Straße geben. Auch von hier aus sind die Ausblicke auf das
Meer und die Küstenlinie berauschend. Wir gelangen am nördlichen Ende des
Pélekas Beach
an den Strand, testen
zunächst mit den Füßen die Wassertemperatur, und lassen uns ungeachtet des wenig erbaulichen Resultats dazu
hinreißen, unsere Badesachen anzuziehen und wenigstens für ein paar Minuten in das kühle Nass zu steigen.
Unsere kühne Tat erregt die Aufmerksamkeit eines Golden Retrievers, der sich zu uns gesellt, als wir wieder in unsere
Klamotten steigen und uns in der nächsten Viertelstunde nicht mehr von der Seite weicht. Erst als wir ein
paar hundert Meter barfuß den Strand entlang gegangen sind und uns wegen der zunehmenden Zahl spitzer
Kleinstgegenstände im Sand hinsetzen, um uns auch Socken und Schuhe wieder anzuziehen, nutzt der Hund die
Gelegenheit zu einem kleinen Spielchen. Das besteht daraus, sich einen von Kordulas Wandersocken zu schnappen
und dann in südlicher Richtung davon zu rennen. Eine Weile können wir ihm noch folgen, dann verlieren wir ihn
hinter einem Felsen aus den Augen. Den Socken geben wir schon verloren, doch als wir am südlichen Ende des Strands
an einer kleine Taverne namens Maria's Place vorbeikommen, sehen wir ihn dort vollgesabbert auf der Terasse liegen.
Zu unserem
Hotel
ist es nun nicht mehr weit. Dort allerdings erwartet uns eine weitere unschöne Überraschung.
Der Zimmerschlüssel, den ich am Morgen in der nicht verschlossenen Innentache meiner Regenjacke verstaut hatte,
ist verschwunden. Wegen des schönen Wetters hatte ich die Jacke tagsüber die meise Zeit in einem Trageriemen
des Rucksacks hängen und dabei nicht mehr an den Schlüssel gedacht, der uns unterwegs verloren gegangen sein
muss, so dass ich vergeblich sämtliche Taschen und Nischen meines Rucksacks von innen nach außen kehre. Die
Sache ist mir schrecklich peinlich, doch Sofias Papa, der hinzukommt, gibt uns bereitwillig und ohne großes
Aufhebens einen Ersatzschlüssel.
Zum Abendessen im Aussichtspavillon bietet uns Sofia eine korfiotische Spezialität an, und wir schlagen zu.
Es ist ein Gericht aus Makkaroni und einer mit Kräutern gewürzten Fleischsoße, deren Namen ich allerdings
keine Minute, nachdem Sofia ihn uns genannt hat, schon wieder vergessen habe. Dazu trinken wir Wein, später
Ouzo und einen weiteren Wein auf dem Balkon, wo wir wie am Abend zuvor den Tag mit ein paar Kniffel-Partien
ausklingen lassen.