Der Ablauf des neuen Morgens gleicht zunächst dem des letzten. Ich versorge uns mit Brötchen und Joghurt aus
dem Laden am Campingplatz, danach frühstücken wir, packen unsere Tagesrucksäcke und stapfen zur Rezeption,
um uns mit zwei nur 6,00 Euro kostenden Tageskarten für den Nahververkehr zu versorgen, diesmal gültig bis nach Berlin. Wenig später
sitzen wir im Bus Richtung Potsdam und lassen uns bis zum dortigen Hauptbahnhof chauffieren. Allzu lange
müssen wir nicht auf einen Zug warten. Der Regionalexpress bringt uns innerhalb von 20 Minuten nach Berlin.
Am Bahnhof Zoo steigen wir aus.
Mit Hilfe des wenig übersichtlichen Stadtplan-Sammelsuriums in dem geliehenen Berlin-Reiseführer, den wir von
zu Hause mitgebracht haben, versuchen wir die Stadt zu erschließen. Einem der beschriebenen Rundgänge folgend
tappen wir durch den
Tiergarten,
überqueren den Landwehrkanal und finden das Freilicht-Laternenmuseum,
bei dessen Parkbänken wir uns kurz niederlassen. Das heiße Wetter zehrt schon jetzt an meiner Kondition, um die
es bei Stadtbesichtigungen von jeher nicht besonders gut bestellt ist. Nachdem wir die Straße des 17. Juni
überquert haben, halten wir vergeblich
nach den in dem Reiseführer beschriebenen besonderen architektonischen Bauten aus. Wir tauchen erneut ins
endlose Grün des Tiergartens ein, bis wir beim Bundespräsidialamt wieder herauskommen. Auch das nebenan
gelegene
Schloss Bellevue
nehmen wir in Augenschein. Auf dem Dach weht die schwarz-rot-goldenen Flagge, was
bedeutet, dass der Bundes-Horst im Hause weilt.
Bis zur
Siegessäule
ist es nicht mehr weit — scheinbar. Bis wir jedoch den richtigen Treppenabgang und den
Tunnel zur Mitte des Platzes gefunden haben, dauert seine Zeit. Das kleine Museum im Unterbau der Säule erweist
sich als recht interessant und gibt auf schön gestalteten Schautafeln kompakte Zusammenfassungen zu einigen Epochen
deutscher Geschichte wieder. Doch wir haben ja noch etliches anderes anzusehen in dieser Stadt, und so lese
ich längst nicht alles durch, sondern folge Kordula über die 285 Stufen auf die Aussichtsplattform. Hier gewinnt
man endlich so etwas wie einen Ãœberblick über die Stadt — naja, eigentlich ist es vielmehr ein Ãœberblick
über den Tiergarten. Alles andere ist weit weg. In Richtung des Brandenburger Tors auf der Straße des 17. Juni
wird gerade das beseitigt, was während der Fußball-WM die Fanmeile gewesen ist, nur um am Wochenende schon
wieder der Loveparade die Bühne zu bereiten.
Wieder unten folgen wir ein Stück der Straße des 17. Juni und lassen uns dann abermals ermattet auf einer der
Parkbänke des Tiergartens nieder. So kann es nicht weitergehen, dass wir uns hier in diesem Park bereits
fußgängerisch verausgaben. Der Umstieg auf den Bus wird beschlossen. Wozu haben wir schließlich diese
Tageskarten erstanden. Wir gehen zurück zum Schloss Bellevue, gegenüber dem sich eine Bushaltestelle der
Linie 100 befindet &mdah; der Sightseeing-Linie schlechthin, wie wir inzwischen mit Hilfe unseres Reiseführers
herausgefunden haben. Am
Kanzleramt
vorbei fahren wir zum Reichstag, wo wir aussteigen. Die lange Besucherschlange
vor dem Gebäude lässt uns jedoch schnell von unserem Plan Abstand nehmen, schon jetzt die Reichtagskuppel zu
besuchen. Allmählich möchten auch unsere Mägen, das wir etwas für ihr Wohlbefinden tun. Also marschieren wir
weiter in Richtung
Brandenburger Tor.
In dem Botschaftsviertel dahinter finden wir ein italienisches Restaurant, wo wir uns mit Pizza stärken.
Da es bis zum
Holocaust-Mahnmal
nicht mehr weit ist und auch das auf meinem Wunschzettel einer Berlin-Besichtigung
stand, ist dies das nächste Ziel unseres Rundgangs. Das Areal mit den Stelen erweist sich als aus meiner Sicht nicht
so gelungen. Die exakte parallele Ausrichtung der Stelen mindert den erdrückenden Eindruck, wenn man irgendwo
zwischen ihnen steht und jederzeit den Ausgang aus dem Feld in Sichtweite hat. Vor dem Eingang zu dem unter dem
Feld gelegenen Informationszentrum heißt es warten. In Abständen von fünf bis zehn Minuten lässt man einen Schwall
von Besuchern ein, der dann erst einmal durch eine Sicherheitsschleuse muss. Auch uns bleibt dies nicht erspart,
und so lassen wir uns und unser Gepäck durchleuchten und das mit Erfolg. "Da ist ein Messer drin!" stellt der Mann
hinter dem Bildschirm fest. Peinlich, an das große Taschenmesser in meinem Rucksack haben wir überhaupt nicht mehr
gedacht. Nun muss ich es aus dem Rucksack holen und für die Dauer meines hiesigen Aufenthalts gegen einen Bon
eintauschen, während mich die umstehenden Leute auf der Suche nach Äußerlichkeiten mustern, die auf eine
radikal-islamische oder sonstige verdächtige Gesinnung hindeuten. Wir verbringen eine gute Stunde in der Ausstellung,
ehe ich meine Waffe wieder abhole und wir nach einem kurzen Gespräch mit einer der Sicherheitsbeamtinnen über den
Sinn derartiger Vorkehrungen das Mahnmal verlassen.
Abermals lassen wir uns mit dem Bus der Linie 100 zum
Reichstag
bringen. Trotz der vorgerückten Uhrzeit hat der
Andrang vor dem Gebäude in der Zwischenzeit nicht nachgelassen, und so reihen wir uns artig in die Reihe der
Wartenden ein, die auch hier durch eine Sicherheitsschleuse zum Ausharren gezwungen werden. Diesmal will ich
das Ertappt werden vermeiden und schmeiße das Messer direkt mit in die Box zu Schlüsseln und Portemonnaie.
Dennoch meint der zuständige Beamte seine Kojak-Miene aufsetzen zu müssen, klappt das Messer auseinander und
stellt fest, dass es sich dabei um "eine ganz schöne Waffe" handele. Wir versichern, dass damit außer etlichen
Brotlaiben bislang niemand ein Leid zugefügt wurde und bekommen wieder unseren Abholbon. Dann bringt uns der
Aufzug auf das Dach des Gebäudes. Unseren nun doch recht späten Besuch der Kuppel müssen wir wahrlich nicht
bereuen. Die inzwischen tiefstehende Sonne zaubert eine Atmosphäre in die futuristisch angehauchte Konstruktion,
die einem ein Gefühl von Abgehobenheit vermittelt. Es gefällt uns ausgesprochen gut hier oben, auch wenn man vom
Reichstag selbst, dem Penarsaal etc., kaum etwas zu sehen bekommt. Dafür sind die Tafeln ganz interessant, auf
denen die wechselvolle Geschichte dieses Gebäudes nachzulesen ist. Überhaupt merken wir inzwischen, wie spürbar
in dieser Stadt Geschichte ist — vielleicht, weil sie im Gegensatz zu anderen Metropolen auch in jüngster
Vergangenheit eine sehr wechselvolle war.
Als wir den Reichstag verlassen und uns mit dem Linienbus zurück zum Bahnhof Zoo zurückbringen lassen, neigt sich der
Tag dem Ende zu. Anhand unserer Busfahrpläne recherchieren wir, dass es günstiger ist, in Werder anstatt in
Potsdam aus dem Zug auszusteigen und von dort den Bus zum Campingplatz an der Riegelspitze zu nehmen. Um 22.19 Uhr
kommen wir in Werder an und müssen dann noch etwa zehn Minuten auf den Bus warten. Gegen 22.45 Uhr sind wir wieder
in unserem Camingbungalow und bereiten uns aufs Schlafengehen vor.