Der Wecker holt uns an diesem Morgen bereits um 5.00 Uhr früh aus dem Schlaf. Dennoch ist es im Prinzip
schon hell. Der Sommer lässt den Tag früh anfangen. Meine Nase ist dicht — die Wirkung des ungemähten
Grases um uns herum. Bis wir das Frühstück und den Zeltabbau hinter uns haben, geht weitere Zeit ins Land. Die
Zweifel, ob sich das frühe Aufstehen wirklich gelohnt hat, werden größer. Doch dies ändert sich, bald nachdem
wir gegen 7.00 Uhr mit Sack und Pack in unser Boot gestiegen sind.
Wir verlassen die Richtung Schlepzig führende Hauptspree und biegen in den Puhlstrom ab. Er führt tief hinein
in die vom Tourismus weitgehend unberührte Welt des Unterspreewaldes — eine faszinierende Landschaft aus
Wasser und dschungelartig anmutender Natur. Zwischen dem dichten Baumbestand ist die frühmorgendliche Atmosphäre
noch präsent. Völlig einsam gleiten wir über eine reglose Spiegelfläche aus Wasser. Wir sichten einen Biber und
einen neonfarben schimmernden Eisvogel, der unserem Boot eine ganze Zeitlang von Baum zu Baum vorausfliegt.
Immer wieder schrecken wir Rehe auf, die am Uferrand stehen und Wasser trinken, als wir gerade lautlos um
eine Flussbiegung herum in Sichtweite kommen. Doch nicht alle Tiere bereiten uns ungetrübte Freude. Als wir
unter einem tiefhängenden Ast hindurchpaddeln, springt uns eine Spinne ins Boot — just in dem Moment,
als sich Kordula darunter befindet, die daraufhin fast auf den Ast hinauf springt.
Nach einiger Zeit bekommen wir wieder Schwierigkeiten mit der Orientierung. Nicht jeder Flussarm scheint in unserer
Karte eingezeichnet zu sein. Und die anfänglich bei Abzweiungen an den Bäumen befestigten Wegweiser werden auch
rar. Bevor wir die querende Quaasspree erreichen, sind wir überzeugt, uns längst darauf zu befinden. Ein
paar an einer Biegung sitzende Angler belehren uns eines Besseren. Schließlich haben wir die Orientierung wieder
gefunden und, nachdem wir die von Schlepzig und Krausnick führende Straße unterquert haben, steuern wir auf die
erste Schleuse
des Tages zu. Sie ist — womöglich wegen der immer noch frühen Uhrzeit — nicht besetzt.
Da ich hinten am Steuer sitze, schickt sich Kordula an, auszusteigen und den Schleusenmeister zu spielen. Ein
wenig mulmig ist mir schon zumute so ganz allein in dem Faltboot, den Hebelgriffen meiner Frau hilflos ausgeliefert,
doch Kordula meistert ihre Aufgabe souverän — nicht nur das: sie entdeckt geradzu ihre Liebe fürs Schleusen,
die bis zum Ende dieses Urlaubs nicht versiegen soll.
Hinter der Schleuse wird das Paddeln etwas schwieriger. Der Wasserstand ist exterm niedrig, und immer wieder
müssen wir uns unseren Weg zwischen all den Untiefen mühsam suchen, bevor wir weiter kommen. Als wir nach
einiger Zeit die zweite Schleuse erreichen, ist der Tag auch in das Dickicht des Unterspreewaldes vorgedrungen.
Der Zauber verflüchtigt sich allmählich. Auch die zweite Schleuse muss in Selbstbedienung überwunden werden.
Diesmal sind wir nicht allein. Ein einsamer Kajak-Wanderer, der oberhalb der Schleuse sein Boot packt, möchte von
uns mitgeschleust werden, um das Kajak nicht herrenlos schleusen oder gar umtragen zu müssen. Kordula erledigt
auch diesen Job mit vor fachmännischem Stolz geschwellter Brust.
Allmählich gelangen wir an das Ende des Unterspreewaldes. Hier kommt uns ein erster Kahn mit Touristen entgegen,
die nicht ganz so früh aufgestanden sind wie wir und nun das Beste verpasst haben — aber sie anen ja nichts
davon. Zwischen Wiesen und Feldern steuern wir dem Dörfchen Leibsch entgegen, vor dem sich der Puhlstrom wieder
mit der Hauptspree vereint. In Leibsch halten wir nach einer Anlegestelle für Lisa Ausschau, denn nun steht der
weniger schöne Teil der Tagesordnung auf dem Programm. Wir müssen nach Neu-Lübbenau, den Geldautomaten plündern.
Hinter der Autobrücke finden wir zwar Anlegestellen, doch die sind für Kähne gedacht und für Paddler verboten.
Auf unserer Karte ist hier eine am Wasser liegende Gaststätte eingezeichnet. Ob man da uch anlegen kann? Wir
haben Glück. Der Steg der
Gaststätte Spreeblick
ist zwar klein, doch nachdem wir erst einmal auf der
wunderschönen Terasse zwei große Apfelsaftschorlen wegschlürfen und lieb fragen, dürfen wir das Boot während
unseres Ausflugs dort zurücklassen. Sicherheitshalber bringe ich das Fahrradschloss an, das wir für solche
Gelegenheiten mithaben. Dann marschieren wir los.
Wir wissen nicht, an welchem Ende der
lang gestreckten Siedlung
sich die Bank befindet. Wenn wir Pech haben,
müssen wir bis zum Südende des Dorfes tappen — das läge dann ein ganzes Stück spreeaufwärts, so dass
man das Boot besser weit vor Leibsch geparkt hätte, und es verdoppelt unseren Fußweg. Doch wir haben Glück. Die
Bank — eine Filiale der Volksbank — befindet sich in der nördlichen Hälfte des Dorfes, so dass
wir unser Ziel schneller erreichen als erwartet. Der Geldautomat ist auch nicht außer Betrieb. Unsere schlimmsten
Befürchtungen erfüllen sich diesmal nicht. Mr. Murphy schläft noch. Einen Wasserweg nach Neu-Lübbenau entdecken
wir sogar auch noch.
Von der Hauptspree führt ein Kanal zu einem kleinen Hafen — beides in unserem Wasserwanderatlas nicht
verzeichnet! Doch da wir den Puhlstrom entanggekommen sind, wäre diese Variante auch nicht unbedingt ideal
gewesen. So können wir statt dessen die unzähligen Storchennester bewundern. In Leibsch sind sie uns bereits
auf den Dächern der Scheunen aufgefallen. Hier befinden sie sich zum Teil sogar direkt an der wenn auch wenig
frequentierten Durchgangsstraße auf extra dafür aufgestellten Masten.
Mit prall gefülltem Portemonnaie kehren wir zur
Gaststätte Spreeblick
zurück und hauen erst einmal einen guten
Teil davon auf den Kopf. Inzwischen ist es einiges voller geworden — Mittagszeit —, und wir müssen
uns den Tisch mit anderen Gästen teilen. Auch am Bootssteg ist es nun eng. Plötzlich wimmelt es auf dem Wasser
wieder nur so von Kanuwanderern. Wieder einmal haben wir Gelegenheit, die gute und dabei günstige Spreewälder
Küche in Form von Meerrettich-Cordon bleu bzw. Fährmannsteak (das allerdings auch ein Schnitzel ist)
mit Brattkartoffeln zu genießen.
Als wir wieder auf dem Wasser sind, gelangen wir schnell an die nächste Schleuse, eine
Doppel-Schleuse.
Nach links
führt sie auf die kürzere Tour nach Berlin in den Spree-Dahme-Kanal. Wir fahren nach rechts. Wieder steigt Kordula
aus, um sich über die Hebel an den Schleusen-Toren herzumachen. Dafür erntet sie aber erst einmal Protest von einem
spreeaufwärts fahrenden Motorboot-Kapitän, den sie übersehen hat, so dass sie ihm quasi das Tor vor der Nase
zuzuschlagen im Begriff ist. Nun lässt sie den älteren Herrn einfahren, der kurze Zeit später das nächste
Protestgeheul erhebt, als Kordula das obere Schleusentor seiner Meinung nach zu hastig öffnet. Dennoch will er
— vielleicht auch nur aus Erleichterung noch am Leben zu sein — sie hinterher für ihren Dienst mit
50 Cent entlohnen. Kordula ziert sich jedoch, zumal inzwischen zwei Jungs vom benachbarten Teil der Schleuse
aufgetaucht sind, die so aussehen, als würden sie hier normalerweise die Schleusengelder kassieren. Dann werde ich
von ihr spreeabwärts geschleust, gemeinsam mit einem anderen Paddlerpärchen, das in der Zwischenzeit eingetroffen
ist.
Noch 2,5 km paddeln wir gemütlich über den Fluss, dann ändert sich die Landschaft erneut. Trichterförmig verbreitert
geht die Spree in den Neuendorfer See über, der uns erst einmal mit einer steifen Brise begrüßt und uns ordentlich
Kraft abverlangt. Zu allem Überfluss wird dann auch noch Kordulas Mütze eine Beute des Windes, und wir müssen eine
ganze Weile herummanövrieren, bis wir das gute Stück geborgen haben. Der Wind beruhigt sich schließlich zeitweise,
so dass wir jetzt unsere Fahrt auch wieder genießen können. An einer Halbinsel würden wir gerne noch eine Pause
einlegen. Doch die schöne Stelle haben sich schon andere unter den Nagel gerissen. Es ist das Pärchen, das mit
uns zusammen durch die letzte Schleuse gefahren ist. Also legen wir unsere Pause am zu einem
Campingplatz
gehörenden Strand an der Südseite des Sees ein, wo Kordula ein bisschen badet, während ich ein Nickerchen halte
— beäugt von einer misstrauischen Camperin, die darauf aufpasst, dass wir nicht in die Büsche urinieren.
Es bleiben uns noch etwa 3 km. Da der Wind nun soweit gedreht hat, dass er nahezu in
unseren Rücken bläst, hissen wir unser Segel — sprich: wir spannen den Regenschirm auf. Doch den immer
wieder heftig auffrischenden Böen ist die Konstruktion nicht gewachsen. Zehn Minuten später ist das Schirmgerippe
an zwei Stellen auseinandergerissen. Schließlich nähern wir uns dem langgestreckten Ostende des Sees. Wir paddeln
nordwärts, passieren den Ausfluss der Spree und halten nach dem
Campingplatz von Alt-Schadow
Ausschau, der in
unserem Kanu-Wanderführer sehr gepriesen wird. Zurecht, wie sich zeigen wird. Einige Meter neben dem Badestrand
finden wir eine Lücke im Schilf, wo wir das Boot ungestört an Land ziehen können. Dahinter erwartet uns ein
schöner, weitläufiger Platz
mit gepflegtem Rasen, der, obwohl er gut gefüllt ist, nicht überlaufen wirkt.
Abermals werden wir von einem dieser durchgesägten Spreewald-Kähne mit den Wasserwander-Rastplatz-Schildern begrüßt.
Wir stellen das Boot neben einer überdachten Tischgruppe ab und begeben uns auf die Suche nach Toilette und Rezeption.
Bei letzterer müssen wir einige Minuten warten, da sie erst um 18.00 Uhr wieder öffnet. Dafür werden wir von der
Betreiberin des Campingplatzes äußerst freundlich begrüßt. Dass wir Wasserwanderer sind, erkennt die Frau sofort
— die würden immer so fertig aussehen, meint sie.
Auf der großen Wiese, wo wir unser Boot abgestellt haben, suchen wir uns unweit der Tischgruppe einen Platz für
unser Zelt. Schatten gibt es zwar keinen, doch das können wir verschmerzen. Wir gehen schwimmen und lassen uns
anschließend auf der auf dem Badesteg angebrachten Bank von der Sonne trocknen. Der Abend ist geprägt, von der
wunderschönen Aussicht auf den See und der tiefstehenden Sonne, die uns bis zu ihrem Untergang verwöhnt und einen
Hauch von schwedischer Weite in die sommerliche Landschaft zaubert. Nach dem Abendessen erkunden wir noch das
gastronomische Angebot des Campingplatzes. In der nahegelegenen Gaststätte finden wir ein nettes Plätzchen auf
der Terasse, wo wir bis tief in die Dunkelheit kniffeln und Radeberger, Kordulas neues Lieblingsbier, trinken.
Als wir zahlen, um ins in Richtung unseres Zeltes zu verkrümeln, hat der Wirt im Innern die Lichter bereits
gelöscht. Der bis dato schönste Tag dieses Urlaubs liegt hinter uns.