Während wir bei Sonne und Wolken die gestern abend an der Rezeption vorbestellten Brötchen am Tisch auf der Veranda unserer Hütte vertilgen
— mit frisch aufgegossenem Kaffee aus unserer Kaffeepresskanne und richtiger Milch und Butter, beides Reste, die wir uns von zu Hause
mitgebracht haben —, schmieden wir Pläne für unseren ersten richtigen Urlaubstag. Wir wollen nach Bad Kötzting wandern, durch das
Städtchen bummeln und dann wieder zurück nach Blaibach marschieren. Wegweiser für Wanderrouten haben wir gestern abend im Ortskern zuhauf
gesehen. Außerdem hoffen wir beim Touristeninformationsbüro eine Wanderkarte oder ähnliches zu ergattern.
Am gestrigen Abend haben wir versucht, Johanna und Dieter, Nachbarn von uns, auf ihrem Handy zu erreichen. Die beiden befinden sich schon seit
zwei Wochen in Bayern, und bei ihrem Aufbruch haben wir locker verabredet, uns vielleicht einmal hier zu treffen. Nachdem Dieter uns am
Freitag vor unserer Abreise angerufen und gefragt hat, zu welchem Zeitpunkt wir an welchem Ort sein werden, wollen wir ihm nun mitteilen,
dass wir mit einem Tag Verspätung in Blaibach eingetroffen sind und bis morgen hier bleiben wollen. Am gestrigen Abend war Dieters Handy nicht
an, und auch an diesem Morgen bleibt uns nur seine Mailbox, auf der wir unsere Nachricht hinterlassen können.
Bald ist unser Tagesrucksack gepackt und wir brechen auf.
Der Abstecher zum Touristeninformationsbüro fällt kurz aus. Als wir mitbekommen, dass die Leute vor uns in das kleine Büro stapfen, erst einmal
wegen der Kurtaxe zur Kasse gebeten werden, machen wir eÃnen Rückzieher. Dafür ergattere ich im Vorraum ein Prospekt, das mich in seinen Bann
schlägt. Es wirbt für eine Bärwurzerei in Bad Kötzting, wo man 70 verschieden Schnapssorten verkosten kann. In Bärwurzereien, das weiß ich, wird
auch jenes vergötterungswürdige Getränk mit dem Namen Blutwurz hergestellt. Keine Frage, da muss ich hin!
Gegenüber der kleinen Blaibacher Kirche im Rokoko-Stil aus dem 18. Jahrhundert entdecken wir eine Tafel, auf der die
Wanderwege um Blaibach
verzeichnet sind. In Richtung Bad Kötzting gibt es auch einen. Er führt die Bezeichnung B3. Ihm wollen wir folgen. Zunächst geht es über schmale
Sträßchen zwischen Feldern hindurch, vorbei an dem einzigen Anwesen des Weilers
Hill. Dahinter führt der Weg in den Wald.
Ein Doppelgänger vom Räuber Hotzenplotz überholt uns auf einem bockendem und stinkendem Moped, bleibt zwischenzeitlich mit dem Ding liegen und
überholt uns erneut. Irgendwann wird der Weg matschig. Mir macht das wenig aus, ich habe Wanderschuhe an. Kordula mit ihren Trekkingsandalen ist
da weniger gut gerüstet.
Zeitweise sorgen die zahlreich vorhandenen Wegweiser für etwas Verwirrung, da in der Richtung in der wir gehen nicht Bad Kötzting sondern
Blaibach ausgeschildert ist, und wir müssen uns daran erinnern, dass wir uns auf einem Rundweg befinden. Vorbei an einem ausgelassenen
Weiher,
wo uns ein Einheimischer auf eine dort umherspazierende Entenfamilie aufmerksam macht, und entlang des Bachlaufs des Steinbach geht es schließlich
durch enges Gestrüpp wieder talwärts. Ich habe etwas Respekt vor den Zecken, deren Biss in dieser Gegend FSME verursachen kann, und suche
hin und wieder unsere Waden nach verdächtigen Krabbeltieren ab.
Bei einem Hotel
in Harras treffen wir auf die Straße, wo ein älterer Anwohner willkommene Zuhörer in uns findet, als wir nicht wissen, ob wir rechts oder links
weitergehen sollen. Hier verlassen wir den markierten Rundwanderweg, der an dieser Stelle über eine abzweigende Straße zurück in den Wald und auf
kürzerem Weg wieder nach Blaibach führt. Nachdem wir die Straße, die angrenzende Bahnlinie und den Fluss dahinter, den Weißen Regen, überquert haben,
machen wir Mittagsrast
auf einer Bank neben dem am Fluss verlaufenden Radweg. Es ist sonnig, und die restlichen Brötchen, die uns vom Frühstück geblieben sind, schmecken
hervorragend zu den von uns importierten Salami-Würstchen.
Nach einiger Zeit setzen wir unseren Weg Richtung Süden fort, ehe uns dämmert, dass sich dort der Blaibacher See befinden muss, Bad Kötzting also in
der entgegengesetzten Richtung liegt. Die Stadt bereits in Sichtweite müssen wir erst noch unter einer Straßenbrücke hindurch und dem gewundenen
Flusslauf folgen, ehe wir über eine Fußgängerbrücke hinweg in den Kurpark gelangen. Kordula nutzt die Gelegenheit, um in einem Kneippbecken ihre
Unerschrockenheit gegenüber kaltem Wasser zu demonstrieren. Unter einer Eisenbahnunterführung hindurch, vorbei an der auf einem burgähnlichen
Fundament thronenden Stadtpfarrkirche
gelangen wir schließlich in die belebte Innenstadt von Bad Kötzting.
In einer Drogerie erstehen wir einen Spüllappen, da wir zuhause vergessen haben, einen einzupacken, und kaufen nebenbei noch eine Packung
Prinzenrollen-Kekse. Danach schlendern wir zurück zu dem
Eiscafé,
das wir zuvor gesehen haben. Während wir im überdachten Außenbereich sitzen und
uns Café, Cappuccino, ein Stück Tiramisu, desssen Creme leider nur mit Sahne zubereitet ist, was aber trotzdem schmeckt, und ein Stück
Torte bestellen, wird die Sonne durch einen ersten kurzen Regenschauer abgelöst. Als wir das Eiscafé verlassen, ist der Spuk jedoch schon
wieder vorbei.
Jetzt gilt es die Pfingstreiterstraße und die dort befindliche
Bärwurzerei
zu finden. Auf dem Weg dorthin kommen wir zwar an einem Laden mit der
Aufschrift Bärwurzerei vorbei, doch da stürmt gerade ein Paar aus dem Geschäft, die Worte "Wenn man hier nicht probieren kann, dann kaufen wir
hier auch nicht" auf den Lippen. Da können wir ihnen mit unserem Prospekt weiterhelfen. Leider kommen sie nicht auf die Idee, uns als Dankeschön
in ihrem Auto mit in die Pfingstreiterstraße zu nehmen, so dass wir noch ein ganzes Stück zu Fuß bewältigen müssen, ehe die
Bärwurzerei Drexler in Sicht kommt. Der große Parkplatz,
der neben PKWs auch genügend Platz für Touristenbusse bietet, lässt erahnen, dass hier geschäftstüchtige Leute das Zepter schwingen. Jenseits der
Hofeinfahrt wartet ein Erlebnisgarten unter anderem mit Fotomotiven auf, die sich auf den Etiketten der hier verkauften Spirituosen wiederfinden.
Aus einem Lautsprecher über dem Eingang zum Laden erschallt bayrische Volksmusik. Und im Inneren steppt der Bär! Trotz des regen Publikumsverkehrs
herrschen an der Verkostungstheke keine allzu langen Wartezeiten, und so können wir den ein oder anderen Tropfen probieren. Neben dem Blutzwurz-Likör
und dem Blutwurz-Schnaps findet vor allem der Knoblauch-Schnaps unser Interesse — ein einzigartiges, gleichermaßen abstoßendes wie faszinierendes
Gesöff, von dem wir Kordulas Schwester unbedingt eine Pulle mitbringen müssen. Auch für Kordulas Papa, meine Mutter und meine Schwester finden wir
hier schon unsere Urlaubs-Mitbringsel — so schnell wie dieses Mal haben wir dieses oft lästige Urlaubskapitel noch nie gelöst bekommen.
Nach dem Bezahlen sehen wir noch kurz in das Schnapsbrennermuseum im Obergeschoss des Ladens, dann wanken wir wieder hinaus ins Freie. Obwohl wir
uns das gute halbe Dutzend an Schnäpsen, die wir probiert haben, geteilt haben, macht sich die Wirkung des Alkohols in unseren Beinen bemerkbar.
Nach ein paar Erinnerungsfotos machen wir uns zurück auf den Weg zum Kurpark und von dort weiter in Richtung Blaibacher See.
Inzwischen hat sich Dieter auf Kordulas Handy gemeldet und mitgeteilt, dass er und Johanna auf dem Weg nach Blaibach sind, wo sie sich am Abend
mit uns treffen wollen.
Bad Kötzting liegt bereits ein gutes Stück hinter uns, als das Wetter zu einem weiteren Schlag ausholt. Wieder scheint es nur ein kurzer Schauer zu
sein. Wir befinden uns in einem
Waldstück,
nicht weit von der Stelle, wo wir vor einigen Stunden auf der Bank eine Rast eingelegt haben. Als Schutz
dient uns lediglich das Blätterwerk der Bäume und Kordulas Regenjacke, die wir im Stil einer Zeltplane über uns halten. Eine zweite haben wir nicht
dabei, denn meine neue Regenjacke liegt noch bis zum 29. als Geburtstagsgeschenk verpackt in unserem Auto. Zunächst fällt es uns nicht schwer das
Ereignis von der humoristischen und romantischen Seite aus zu betrachten. Doch dann wird der Regen stärker und die Schutzfunktion der Bäume wie auch
der Regenjacke beginnt sich zu erschöpfen. Meine rechte Schulter sowie der Rucksack beginnen bereits zu triefen. Verzweifelt stapfen wir zu einem
kleinen Schuppen zurück, obwohl klar von weitem deutlich sichtbar ist, dass der Dachvorsprung zu schmal ist, als dass sie uns vor weiterer Nässe
von oben bewahren könnte. Doch dann entdecken wir neben dem Schuppen einen Durchgang auf das Privatgrundstück, zu dem er gehört. An dem Haus darauf
sind alle Rolläden heruntergelassen, es ist also niemand da, und der Dachvorsprung ist so breit, dass es darunter schön trocken ist. Eine kleine
Bank findet sich auch noch, also nichts wie hin! Kurz darauf lässt der Regen nach und sie Sonne verwandelt die Landschaft in ein dampfendes,
glänzendes Etwas. Schade, dass wir nicht eher hierher gefunden haben, doch der Sonnenschein versöhnt uns schnell, und so setzen wir unseren Weg
entlang des Radweges am Flussufer in Richtung Blaibacher See fort.
Über die Staumauer hinweg, wo die Wasser des Schwarzen und des Weißen Regens zusammenfließen, gelangen wir an das Südufer des Regens. An einer
Bank am Regenufer legen wir noch einmal eine kleine
Pause ein. Der Feuchtigkeitsgrad unserer Klamotten hat schon wieder ein einigermaßen erträgliches Level erreicht. Als wir unseren Weg fortsetzen,
kommen uns zwei Radfahrer entgegen. Es sind Dieter und Johanna, die inzwischen ihr Wohnmobil auf dem Blaibacher Campingplatz abgestellt haben,
und nun eine kurze Radtour zum Blaibacher See machen wollen. Wir verabreden uns zum Grillen vor oder auf der Veranda unserer Hütte — je
nachdem was das Wetter heute abend im Schilde führt — vorrausgesetzt wir schaffen es noch, ein paar Grillwürstchen aufzutreiben. Dann
verabschieden wir uns fürs Erste und erreichen nach kurzer Zeit den Ortsrand von Blaibach und unseren
Campingplatz.
Um zu der Metzgerei im Ortsinneren zu marschieren, die wir am Morgen gesehen haben, ist es bereits zu spät, und so verlassen wir uns auf die
großzügigen Ladenöffnungszeiten der Norma-Filiale, die wir auf dem Weg nach Blaibach gestern gesehen haben, kurz bevor wir den Ort erreicht haben.
Letzteres relativiert sich schnell, als wir mit dem Auto auf die Suche gehen und schließlich bis nach Miltach fahren müssen, wo wir einen
Edeka-Markt finden. Weil wir uns nicht so richtig zwischen den unterschiedlichen Würtschensorten entscheiden können, decken wir uns gleich mit
drei verschiedenen Sorten ein und verlassen mit viel zu vielen Würstchen und zwei Aufbackbroten den Laden. Bier und Kohle brauchen wir nicht, weil
Dieter von beidem noch hat.
Der Abend wird richtig schön! Der Himmel ist glasklar und präsentiert uns mit der Abenddämmerung, vor denen sich die Berge des Bayrischen Waldes
als schwarze Silhouetten abzeichnen, ein herrliches Naturschauspiel. Lediglich die Temperaturen lassen noch nicht an Hochsommer denken. Doch das
macht uns nichts. Unser Faltboot haben wir inzwischen aufgebaut, nun wartet es vor der Hütte liegend auf seinen ersten Einsatz in diesem Urlaub.
Wir sitzen um den Tisch herum, den wir von der Veranda unserer Hütte, von der nun auch die rechte Doppelhüttenhälfte bewohnt ist,
auf das Rasenstück davor geschleppt haben, erzählen uns von unseren Urlaubserlebnissen, die bei Johanna und Dieter stark von dem regenerischen
Wetter der vergangenen beiden Wochen geprägt sind, schmieden Pläne für den kommenden Tag, an dem wir gemeinsam den Regen flussabwärts bis nach
Cham paddeln wollen, und vertilgen Dieters Bier, Johannas Salat und nach und nach alle Würstchen bis auf den letzten Zipfel, ehe wir satt und
zufrieden in unsere Kojen fallen.