Da Johanna und Dieter an diesem Morgen gerne etwas länger schlafen wollen, bleibt uns genug Zeit, nach dem Frühstück, Ausrüstung und Kleidung zu
sortieren und das, was wir nicht mit ins Boot nehmen wollen, im Auto zu verstauen. Leider ist mein Schlüsselbund an diesem Morgen verschwunden.
Eine hektische Suche beginnt, bei der wir alles, was wir bereits so schöne verpackt hatten, wieder aus den Taschen holen und durchwühlen müssen.
Obwohl ich mir sicher bin, dass das Ding nicht verloren gegangen sein kann und irgendwo zwischen unseren Sachen stecken muss, fragen wir auch bei
der Rezeption nach — ohne Erfolg! Unser schönes Zeitpolster schmilzt dahin. Inzwischen sind auch Johanna und Dieter von ihrem Wohnmobil zu
uns herüber gekommen. Gefrühstückt haben sie nicht, weil sie am Abend zuvor so viel gegessen haben, wie sie sagen. Dafür sind sie mit dem Packen
schon fertig. Nachdem ich sämtliche Taschen und Kleidungsstücke durchsucht und schon fast schon resigniert habe, weiß ich plötzlich, wo der
Schlüssel steckt. Kordula hat am Vorabend unsere Hängematte zwischen den zwei Bäumen neben unserer Hütte ausgebreitet und sich darin geaalt.
Nachdem ich sie kurz vor dem Schlafengehen abgehängt hatte, hatte ich sie auf eines der Betten gelegt, auf dem ich auch immer wieder zwischendurch
den Schlüssel abgelegt hatte. Als ich dann an diesem Morgen die Hängematte in ihre Tasche und danach ins Auto gepackt habe, muss sich der Schlüssel
darin verfangen haben. Volltreffer! Keine halbe Minute später befreie ich den Schlüsselbund aus dem Gewirr der Hängematte und bin ziemlich
erleichtert. Endlich kann es los gehen!
Wir bezahlen unsere Übernachtungskosten an der Rezeption und geben den Schlüssel für die Hütte zurück. Dann brechen Dieter und ich in unseren
Fahrzeugen in Richtung Cham auf. Johanna und Dieter haben kein Zelt mit sich und wollen heute nacht wieder im Wohnmobil schlafen, und dafür muss es
erst einmal an unser heutiges Etappenziel gebracht werden. Unser Auto wird, nachdem ich Dieter zurück nach Blaibach gebracht habe, in Blaibach
bleiben, bis wir es am Ende unserer Paddeltour auf dem Regen gegen Ende der Woche abholen.
In Cham gilt es zunächst den in unserer
Paddelbeschreibung vom Tourismusverband Ostbayern e.V.
erwähnten Zeltpatz zu finden. Ausgeschildert ist er nicht, und so
halten wir schließlich bei einem größeren Parkplatz an, um uns durchzufragen. An der Tankstelle gegenüber belehrt mich die Kassiererin erst
einmal darüber, dass es in Cham keinen Campingplatz gebe, wohl aber eine Zeltmöglichkeit für Flusswanderer auf der Wiese des ortsansässigen
Kanuclubs. Dank ihrer Wegbeschreibung finden wir schnell zu dem Gelände, das — inzwischen ist es Mittag — wie ausgestorben ist.
Auf dem Parkplatz neben dem Gebäude stellt Dieter das Wohnmobil ab. Dann fahren wir in meinem Wagen zurück nach Blaibach.
Entgegen meiner ursprünglichen Planung stelle ich unser Auto nicht auf dem Parkplatz im Ortsinneren von Blaibach ab, sondern auf dem Campingplatz,
was uns inzwischen kostbare Zeit spart. Zudem sind 1,50 Euro am Tag für etwas mehr Sicherheit vielleicht doch keine übertrieben hohe Investition.
Kordula und Johanna haben sich inzwischen die Zeit bei unseren Booten an der
Einstiegsstelle in den Regen vertrieben.
Johanna und Dieter müssen lediglich ihren mit wenig Tagesgepäck beladenen Kanadier zu Wasser lassen, wir dagegen haben unsere komplette
Ausrüstung an Bord, die nun noch einmal richtig verstaut und festgezurrt werden will, was beim ersten Mal in einem Urlaub immer besonders viel
Zeit kostet. Der Umstand, dass wir dabei auf einem schwankenden Steg stehen, an dem ständig andere Camper ihre Kajaks zu Wasser lassen oder
wieder herausholen, hilft uns dabei wenig. Auf die eigentlich naheliegende Idee, zumindest unser Zelt und unsere Schlafsäcke einfach in Dieters
Wohnmobil zu schmeißen, sind wir an diesem Morgen irgendwie nicht gekommen. Dann — es ist schon weit nach 13.00 Uhr, und Johanna und Dieter
sind vom Im-Kreis-herum-Paddeln schon fast müde — sitzen auch wir endlich im Boot und freuen uns auf die
erste Tagesetappe
dieses Urlaubs.
Der Regen hat wenig gemeinsam mit den teichähnlichen Gewässern, auf denen wir die Sommer der letzten Jahre verbracht haben. Eine gesunde Strömung
erspart uns Paddelpausen, in denen man wenig oder gar nicht vorankommt. Dafür gibt es das ein ider andere Hindernis zu bewältigen. Nach wenigen Metern
geht es schon zur Sache, und wir müssen uns weit rechts halten, wo uns ein Schwall an einigen Steinen vorbeiträgt. Dann jagen wir schon an dem links
gelegenen Wasserwanderrastplatz vorbei und
unter der Blaibacher Brücke her, wo uns die Paddelbeschreibung das zweite Joch von links ans Herz legt.
Als wir nach 3,5 km an Miltach bei Flusskilometer 102 vorbeiziehen, wo es am linken Ufer einen Rastplatz mit einer
Aussiegsstelle
gibt, haben wir uns an das neue Paddel-Feeling gewöhnt. Meist lassen wir Johanna und
Dieter ein wenig vorausfahren. Als passionierter Wildwassersportler hat Dieter den besseren Blick für Steine, die unter der undurchsichtigen
Wasseroberfläche lauern, und dafür, wie man ihnen aus dem Weg geht. Außerdem steckt sein Kanadier im Zweifelsfall einen Kratzer besser weg als
unsere empfindliche Faltboothaut. Leider hauen die beiden ganz schön rein — aus Sorge gegenüber unserem schnelleren Faltboot zu langsam zu
sein und uns bei unserer Paddelei zu bremsen. Es dauert eine ganze Weile, sie davon zu überzeugen, dass wir eigentlich ganz gerne das Paddel alle
paar Minuten aus der Hand legen, um uns einfach treiben zu lassen.
Bei Flusskilometer 100 wartet das nächste Hindernis auf uns. Ein Felsriegel erstreckt sich quer durch den Fluss. Lediglich auf der rechten Seite
gibt es einen Durchbruch. Dahinter lauern Felsblöcke im Wasser. Obwohl ich die Gefahr frühzeitig erkenne, gelingt es mir nicht mehr, das
schwerfällig reagierende Boot rechts daran vorbei zu manövrieren, und wir schrammen mit dem Heck am Fels entlang. Zum Glück bleibt dies ohne
schlimmere Folgen für unsere Bootshaut. Andere stellen sich jedoch ungeschickter an als wir. Eine ganze Armada von Kanadieren, vollgepackt mit
Jugendlichen, ist gerade dabei, den Hindernisparcours zu bewältigen. Ihr Gruppenleiter hat sich im Wasser an dem Felsriegel aufgebaut, um alle
Boote unbeschadet durch die Lücke zu dirigieren. Doch einen der Kanadier — im Boot sitzen drei Mädels — muss er am Ende doch mit
Muskelkraft davon abhalten gegen den Felsriegel zu brettern.
Auf den nächsten Kilometern fordern immer wieder größere und kleinere Felsbrocken im Wasser unsere Aufmerksamkeit. Dann erreichen wir Chamerau,
wo sich das Wasser dank des
Wehrs
wieder weitgehend beruhigt hat. 9,5 km liegen bereits hinter uns. Auf der linken Seite des Wehres gibt es eine
Bootsrutsche, die jedoch bei zu hohem Wasserstand nicht befahren werden soll. Letzteres soll laut unserer Paddelbeschreibung durch eine rote
Beschilderung zu erkennen sein. Wir erkennen jedoch gar keine Beschilderung, weder rot noch grün. Lediglich eine Stange an der Bootsgasse, deren
rot gestrichenes Ende aus dem Wasser ragt, lässt uns rätseln, ob es sich bei ihr um die besagte Beschilderung handelt. Dieter steigt neben der
Rutsche aus dem Boot und sieht sich die Sache erst einmal von oben an, während wir und eine weitere doppelköpfige Besatzung in einem Kajak
unsicher abwarten. Letztere schieben sich schließlich an uns vorbei, und als Dieter ihnen zuruft, sie könnten ruhig durch die Bootsgasse fahren,
das sei kein Problem, folgen sie seinem Rat. Dann sind wir an der Reihe. Vorsichtig bringen wir das Faltboot vor der Rutsche in Position.
Die Gasse ist höllisch eng. Zwischen Boot und Betonwand scheint keine Handbreit zu passen. Während Kordula forsch vorwärts zu paddeln beginnt,
verlässt mich der Mut, und ich lege den Rückwärtsgang ein, so dass wir auf der Stelle stehen. "Sollen wir wirklich?" rufe ich zu Kordula nach
vorne, die jedoch bei dem Lärm des tosenden Wassers vor uns kein Wort versteht und sich nur wundert, dass wir nicht mehr vom Fleck kommen.
Nachdem sie zu protestieren beginnt, gebe ich schließlich meinen Widerstand auf. Während Kordula vor Vergnügen quiekt, bete ich nur noch, dass
wir heil dort unten ankommen. Doch es geht gut. Wenig später kommen auch Johanna und Dieter hinter uns her gerutscht, und erzählen uns, dass die
Leute, die in dem Café oberhalb des Wehres saßen, wohl ihren Spaß gehabt hätten — vor allem, weil sie dachten Johanna und Dieter
würden sich nicht durch die Rutsche trauen und deshalb erst einmal alle anderen Boote nach vorne schicken.
Wir lassen den
Wasserwanderrastplatz
in Chamerau links an uns vorbeiziehen und nehmen Kurs auf das 6 km flussabwärts gelegene Chammünster. Die Tour verläuft auf diesem Abschnitt
ruhig und beschaulich. In zahlreichen Windungen schlängelt sich der Fluss zwischen Wiesen und Feldern durch das plötzlich breiter werdende
Tal. Dann beginnt die entlang des Flusses verlaufende B20 das Idyll zu beeinträchtigen. Direkt an dieser stark befahrenen Verkehrsader hat man
den Wasserwanderrastplatz von Chammünster
platziert — ein in höchstem Maße unattraktiver Ort. Doch nach mittlerweile 16 km, die wir ohne Unterbrechung im Boot gesessen haben,
ist eine kleine Pause überfällig. Johanna und Kordula wagen ein Bad im Fluss, wo sie sich stärker anstrengen müssen, um gegen die Strömung
anzuschwimmen als zunächst gedacht. Danach knabbern Johanna und Dieter an ihren Broten, ihre erste Mahlzeit des Tages, und wir an unseren
Campingplatz-Brötchen, ehe wir unsere Prinzenrolle-Kekse aus dem Rucksack kramen.
Auf den letzten 4,5 km wartet die einzige Umtragestelle des Tages auf uns. Bei der
Wehranlage Cham-Altenstadt
— nur 1,5 km von unserem Tagesetappenziel entfernt — heißt es für uns rechts anlegen, aussteigen, Bootssack und -wagen abschnallen
und das Faltboot für ein paar Dutzend Meter Feldweg auf den Wagen zu hieven. Der Wiedereinstieg stellt eine gewisse Herausforderung dar, weil
man hier in der Strömung unmittelbar unterhalb des Wehres einsetzen muss. Während Johanna und Dieter hier wieder ins Boot steigen, gehen wir
noch ein paar Meter weiter, wo sich eine von der Strömung abgeschirmte Bucht befindet. Die Böschung ist hier zwar etwas steiler und der Untergrund
etwas matschiger, doch dafür bekommen wir unsere Sachen wieder stressfrei auf dem Heck des Bootes festgezurrt.
Kurze Zeit später paddeln wir unter einer weiteren Bundesstraße hindurch und erreichen unmittelbar dahinter das
Zeltgelände des Kanuclubs "Graf Luckner", wo unsere
Tagesetappe
nach 20,5 km ihr Ende findet. Es ist bereits nach 18.00 Uhr, als wir unser Boot an Land hieven, uns auf der im Gegensatz von heute
mittag sehr belebten Wiese eine Stelle für unser Zelt suchen und unser Quartier aufschlagen. Eine komplette Schulklasse, die wie wir in Blaibach
gestartet ist, hat sich hier unter der Regie ihres Kanulehrers Wolfgang bereits ausgebreitet und soll unsere Wege während der nächsten Tage noch
desöfteren kreuzen.
Die Anmeldung des Kanuclubs ist nicht besetzt.
Ein Zettel an der Tür informiert uns, dass ab 20.00 Uhr wieder jemand hier sein wird. Ganz solange wollen wir aber nicht warten, ehe wir die Stadt
erkunden und nach einer netten Einkehrmöglichkeit absuchen. Bei den Toiletten gibt es jeweils eine warme Dusche für Frauen und Männer, die
nicht mit diesen dämlichen Münzautomaten ausgestattet sind, wie man sie von den meisten Campingplätzen kennt. Die Männerdusche ist frei — eine
Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lasse. Von draußen höre ich Johannas Stimme quieken, die offensichtlich gerade eine der Außenduschen
ausprobiert, wo es nur kaltes Wasser gibt.
Als wir alle ausgehfertig sind, ziehen wir los. Allzulange brauchen wir nicht nach einem vielversprechenden Restaurant zu suchen. Auf dem Weg
ins Ortszentrum kommen wir an der Pizzeria Orlandini vorbei und stoßen damit zufällig auf dieselbe Pizzeria, die auch meine Schwester bei ihrer
Paddeltour auf dem Regen vor einigen Jahren besucht und von der sie uns vor unserem Urlaub in den höchsten Tönen vorgeschwärmt hat. Zurecht, wie
sich herausstellt! Durch eine hübsch gestaltete Toreinfahrt geht man zu einem Innenhof und befindet sich plötzlich und unvermittelt mitten in
Italien. An den Wäscheleinen, die über den Köpfen der Gäste von Hauswand zu Hauswand gespannt sind, hängen Hemden, Hosen und Unterwäsche.
In dem Fenster daneben sitzt ein Hund und betrachtet neuguerig das Treiben zu seinen Füßen. Olivenbäume und sonstige mediterran anmutende Pflanzen
schmücken das Innere des Hofes. Die Fassade einer der Häuserwände erinnert an eine Burg. Dazu Kerzenlicht, Gelächter, der Duft köstlicher
Pizzen und die laue Abendluft nach einem heißen Sommertag. Zum Glück finden wir einen freien Tisch.
Das Bier schmeckt nach einem solchen Tag natürlich ganz besonders lecker, doch auch der Rest steht kann mithalten. Dieter teilt sich seinen
Salat mit uns, den er sich zur Vorspeise bestellt hat, dann kommen unsere Pizzen. Während des Essens verraten uns Johanna und Dieter, dass sie
eine weitere Etappe auf dem Regen anhängen und morgen wieder mit uns paddeln wollen, worüber wir uns natürlich sehr freuen. Wir bleiben noch
eine ganze Weile sitzen, nuckeln an unseren Bieren und genießen die einzigartige Atmosphäre dieses Hofes, ehe wir noch für eine kleine
nächtliche Stadtbesichtigung aufbrechen. Dieter sichert sich noch ein Eis an einer Eisdiele, danach treten wir den Rückzug zu unseren
Nachtquartieren beim Kanuclub an.
Die Anmeldung ist nun geöffnet. Offenbar hat man extra auf uns gewartet. 9,00 Euro kostet die Übernachtung hier für zwei Personen — ein
Schnäppchen.
Es ist die erste Nacht im Zelt in diesem Urlaub, und nun riecht der Urlaub auch nach Urlaub. Schade ist nur, dass wir an diesem Abend den
bockenden Reißverschluss unseres Innenzeltes nicht unter Kontrolle bekommen. Zum Schluß verschließe ich die Öffnung notdürftig mit einer Handvoll
Wäscheklammern — zur Freude der Mücken draußen, die schon auf warten.