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Tour zum Jamelsee


Geländedarstellung: © 1998 Microsoft (Encarta)
[Mi, 16. Juli 2008]

Der Wetterbericht im Radio verheißt sowohl für diesen, als auch die nächsten Tage nichts Gutes, und der Himmel über Kratzeburg scheint uns zuliebe kein Auge zudrücken zu wollen. Doch noch lassen wir uns nicht unterkriegen und nehmen den tiefhängenden Wolken zum Trotz ein Bad im unangenehm kühlen Käbelicksee. Eine Provokation, die sich die Wolken nicht bieten lassen. Bald darauf beginnt es zu regnen, und nichts deutet darauf hin, dass es jemals wieder aufhören wird. Während des Frühstücks diskutieren wir Urlaubsvarianten. Sollen wir wirklich im strömenden Regen ins Paddelboot steigen, oder uns nicht lieber Richtung Ostsee verdrücken, wo sich das schlechte Wetter während der kommenden Tage in einer netten Ferienwohnung vielleicht besser ertragen lässt? Wir sind unentschlossen. Doch einfach im Zelt abhängen und Bücher lesen, wie es unsere Zeltnachbarn machen, das geht für einen ersten Urlaubstag irgendwie auch nicht. Also vertrauen wir einfach darauf, dass der Regen — mehr als ein Nieselregen ist das ja schließlich nicht — bald wieder aufhört, und packen unsere Sachen.

Ein Vergnügen ist das nicht gerade. Der Sand bleibt an den feuchten Sachen haften, als seien sie mit Tapetenkleister eingeschmiert worden. Vor allem das Zelt, dessen Außenhaut wir getrennt verpacken müssen, hat wenig Eigenschaften von etwas, in dem man die Nächte der nächsten Wochen verbringen möchte. Irgendwann schließlich haben wir unsere Sachen sortiert. Was mit soll, befindet sich im Boot, was nicht mit soll, im Kofferraum des Autos. Es ist Zeit, den Wagen wegzubringen. Während Kordula sich um die letzten Kleinigkeiten kümmert, fahre ich ihn zu dem öffentlichen Parkplatz am Rande von Kratzeburg. Anschließend spaziere ich den Weg durch den nicht enden wollenden Regen zum Campingplatz zurück, was etwa eine Viertelstunde in Anspruch nimmt. Endlich sind wir startklar — denken wir zumindest. Als ich die Sachen sortiere, die ich während des Paddelns griffbereit haben möchte, fällt mir auf, dass unser Gewässerführer mit den Wasserwanderkarten nicht da ist. Kordula erinnert sich, dass sie gestern im Auto darin geblättert hat. Irgendwo dort muss er also noch liegen — wie auch immer wir ihn heute morgen übersehen haben können. Seufzend fügen wir uns in unser Schicksal und latschen gemeinsam zum Parkplatz Richtung Kratzeburg. Wir finden den Gewässerführer gut versteckt zwischen den Seiten des Autoatlas. Dann geht es abermals zurück zum Campingplatz.

Es ist fast schon 13.00 Uhr, als wir unser Boot endlich aufs Wasser hinausschieben und einsteigen. Der Regen prasselt unnachgiebig auf uns hernieder. Trotzdem stellt sich fast so etwas wie ein wohliges Gefühl ein — ein Gemisch aus Entspannung und Erleichterung. Das Gepäck ist halbwegs trocken und sicher verstaut. Wir sitzen, und das innerliche Hin und Her hat ein Ende. Endlich sind alle Entscheidungen getroffen. Vor uns liegt der See, die erste Etappe eines Weges, den wir jetzt nur noch entlangpaddeln müssen! Die neuen Paddel, die ich als Vorab-Geschenk zu meinem 40. Geburtstag bekommen habe, schmiegen sich wie feiner Stoff in meine Hände. Der Urlaub hat begonnen. Doch so richtig lange hält meine Bescheidenheit nicht an. Immer wieder wandert der Blick gen Himmel und sucht das dichte Grau nach Auflockerungen ab. Zwar sitzen wir unter unserer Spritzdecke alles in allem trocken und warm, doch das Bewußtsein, durch eine herrliche Landschaft zu paddeln, deren Schönheit nicht so ins rechte Licht gesetzt wird, als dass man sie auch richtig genießen könnte, hinterläßt ein unbefriedigendes Gefühl. Tatsächlich machen uns ein paar hellere Flecken am Himmel zwischendurch mal etwas Hoffnung, der Regen möge vielleicht auch wieder einmal aufhören, was dadurch verstärkt wird, dass ab und an auch die Intensität etwas nachlässt, doch bald schließt sich die Wolkendecke wieder zu einem einheitlichen Grau und der Regen prasselt stärker denn je auf uns herab.

Es ist eine einsame Wanderung, die wir da begonnen haben. Auf dem schmalen Havelabschnitt, über den wir den Käbelicksee verlassen haben, kommt uns bald ein kleines von einem Außenbordmotor angetriebenes Ruderboot entgegen, von dem ich gedacht hätte, dass das hier gar nicht fahren dürfte, dann sind wir wieder alleine. Der Flußabschnitt zieht sich durch einen wunderschönen Auwald. Wohin man auch blickt, sieht man nichts als ursprüngliche Natur. Doch was wir als erstes so richtig genießen, ist eine eher unansehnliche Röhre, die die Havel unter einer auf einem aufgeschütteten Damm verlaufenden Straße hindurchleitet, bevor sie in den Granziner See mündet. Hier erleben wir nach Stunden die ersten Minuten, in denen uns kein Wasser auf den Kopf prasselt.

Wir paddeln das kurze Stück am Südufer des Granziner Sees entlang, ehe wir unweit der wenigen Häuser von Granzin in den nächsten Havelabschnitt hineinfahren. Erneut genießen wir kurze Momente des Glücks, als es unter einer Straßenbrücke hindurchgeht. Dahinter passieren wir den Wasserwanderrastplatz von Granzin. Der Regen scheint hier alles Leben hinweggespült zu haben. Kurz darauf begegnen wir dann tatsächlich den ersten Kanuwanderern dieses Tages — zwei Frauen, die sich mit Mühe auf dem schmalen Fließ an unserem Boot vorbeimanövrieren. Wir überqueren den Schulzensee, der eher ein Teich als ein wirklicher See ist. Kurz danach wird unsere Kanuwanderung erst einmal durch ein kleines Wehr beendet. An der Ausstiegsstelle lässt sich das Boot bequem aus dem Wasser ziehen und auf unseren Kanuwagen hieven. Oben an der Straße wartet ein großräumiges, modernes Toilettenhäuschen auf uns. Das schönste an ihm ist, dass es ein Dach hat, durch das es nicht hineinregnet. Wie einfach die Freuden eines Urlaubstages sein können!

Auf der anderen Seite der Straße steht für den Bootstransport eine Lorenbahn zur Verfügung. Während Kordula noch ihre regenfreien Momente genießt, unterziehe ich den Wagen einer genaueren Inspektion. Seit unseren schlechten Erfahrungen mit der Lore in Kossenblatt an der Spree vor zwei Jahren reagieren wir auf derartige Angebote gerne zurückhaltend. Umso überraschter bin ich, als ich merke, dass diese Anlage gut in Schuss zu sein scheint. Der Waggon, auf dem sich Platz für bis zu vier Kanus findet, lässt sich ohne größeren Widerstand über die Gleise bewegen, die als eine in sich geschlossene Bahn verlegt sind. Auf diese Weise dürfte sich unser Faltboot bequemer transportieren lassen, als wenn wir es auf unserem Bootswagen über den grasbewachsenen Untergrund zwischen den Schienen schieben müssen. Kurzerhand hieve ich "Lisa" auf die Lore. Kordula ist zunächst skeptisch, als sie sieht was ich vorhabe. Doch dann ist auch sie schnell davon überzeugt, dass dies die bessere Wahl sein könnte. Immerhin ist die Strecke, die wir zu der Einstiegsstelle am Pagelsee zu bewältigen haben 700 Meter lang. Tatsächlich lässt sich der Transport mit der Lore ohne Probleme bewältigen. Für ein kurzes Stück springen wir sogar auf und fahren darauf mit anstatt sie zu schieben. Unterwegs kommen uns andere Wasserwanderer entgegen, die ihr Boot auf einem Waggon in die Gegenrichtung transportieren. Schön zu sehen, dass es doch noch genug andere Verrückte gibt, die sich bei diesem Wetter aufs Wasser hinauswagen.

Am Ende der Fahrt wartet stoßen wir auf einen kleinen Wasserwanderrastplatz. Eine Familie mit Hund — ebenfalls in Kajaks unterwegs — hat es sich hier für eine Essenspause bequem gemacht. Es ist der richtige Zeitpunkt dafür, denn der Regen hat es tatsächlich hingekriegt, mal eine Pause einzulegen. Auch wir nehmen die Gelegenheit für einen kurzen Snack wahr, nachdem wir das Faltboot von der Lore heruntergehoben und auf dem noch darunter geschnallten Kanuwagen zum See gerollt haben. Dann wird es plötzlich lebhaft. Der Waggon, der uns eben auf der Fahrt mit der Lore entgegen gekommen ist, kommt voll beladen mit Booten und Besatzung zurück — einer reinen Männergesellschaft, deren Gepäck zu etwa 50% aus Bier zu bestehen scheint. "Rote Rotte" ist auf einem ihrer Boote zu lesen — für uns von nun an die Bezeichnung für die gesamte Mannschaft, der wir von nun an noch öfters begegnen sollen.

Die Familie und der Hund sind derweil aufgebrochen und über den Pagelsee aus unserem Blickfeld gepaddelt. Auch wir machen uns nun auf und setzen unsere Fahrt fort. Etwa 2 km lang ist die Strecke über den gewundenen See und ohne das allgegenwärtige Nass, das uns bislang auf die Mützen geprasselt ist, schon ein ganz anderes Erlebnis als vor unserer Mittagsrast. Leider hält dieser Zustand nicht allzu lange an, dann beginnt es wieder zu nieseln. Abermals gelangen wir für einige hundert Meter in einen schmalen Abschnitt der Havel. Rechts und links von uns nimmt uns mannshohes Schilf die Sicht und lässt kaum erahnen, was sich dahinter befindet. Bald darauf sorgt der Zotzensee — See Nummer fünf von insgesamt sieben auf dieser Etappe — dafür, dass sich der Blick wieder weitet. Abwechslungsreicher und verspielter kann eine Paddeletappe kaum sein. Ein See folgt dem nächsten. Ständig ändern sich Perspektive und Panorama. Schade, dass das Wetter an diesem Tag eine dieser Landschaft so ganz und gar unangemessene Rolle spielt.

Nachdem wir den Zotzensee hinter uns gelassen und in das nächste Stückchen Havel hineingepaddelt sind, erreichen wir nach wenig mehr als einem weiteren Kilometer das Dörfchen Babke. Auch hier findet sich ein Wasserwanderrastplatz, auf dem einige Zelte stehen und der auch ansonsten recht belebt wirkt, außerdem eine Fischräucherei, wo man angeblich ganz hervorragenden Räucherfisch probieren kann. Für Kordula unter normalen Umständen ein Pflichtaufenthalt. Doch die hat inzwischen so sehr die Schnauze vom Regen voll, dass sie nur noch an unserem Tagesetappenziel ankommen möchte und nicht einmal mehr Lust auf Räucherfisch verspürt. Also lassen wir die Fischräucherei links liegen und nehmen die zweite Portage in Angriff, die uns hier erwartet. Wieder finden wir eine einwandfrei funktionierende Lorenbahn vor. Der einzige Waggon ist allerdings kleiner als der am Pagelsee und nimmt auch nur ein Boot auf. Dafür ist die Strecke mit 50 Metern auch erheblich kürzer. Innerhalb angenehm kurzer Zeit können wir unsere Fahrt jenseits des kleinen Wehres fortsetzen.

Nach etwas weniger als 2 km verlassen wir das kleine Bächlein mit dem großen Namen wieder und befinden uns auf dem Jäthensee, einer weiteren Perle auf dieser hübschen Seenkette, die man der schmalen Havel hier aufgeschnürt hat. Wieder ist nach nicht einmal einem Kilometer das Ende des Sees erreicht. Es folgen einige wenige Dutzend Meter ehe von dem nächsten Abschnitt der Havel ein kleiner Kanal, nach rechts abzweigt. Ein Wegweiser bestätigt uns, dass es hier zum Jamelsee und dem an seinen Ufern gelegenen Campingplatz Hexenwäldchen — unserem Tagesziel — geht. Leider fehlt dem künstlich angelegten Kanal die nötige Tiefe, um ihn paddelnd bewältigen zu können. Wir müssen aussteigen und das Boot entlang des Ufers treideln. Immer wieder verhakt sich dabei der Bug in der Böschung, so dass Kordula schließlich zurück in den Kanal klettert und das Boot durch das Wasser stapfend hinter sich herzieht. Nachdem der Regen inzwischen aufgehört hat, gibt es nun also nasse Füße statt nasser Haare. Eine niedrige Fußgängerbrücke muss sie dabei zum Schluss auch noch unterqueren. Dann ist der mit dichtem Wald umstandene Jamelsee erreicht und wir können die letzten 800 Meter dieser 13 km langen Tagesetappe im Boot zurücklegen.

Während es in Kratzeburg recht ruhig und beschaulich zugegangen ist, und sich die Menschen scheinbar nur aus ihren mobilen Behausungen gewagt haben, um in möglichst kurzer Zeit wieder in einer anderen zu verschwinden, geht es am Hexenwäldchen hoch her. Trotz des regnerischen Wetters tobt eine ganze Horde von Kindern im Umkreis einer aufblasbaren Schwimminsel mit Rutsche im Wasser umher. Der Strand — Badestelle und Kanuanlegeplatz zugleich — ist stark frequentiert. Wir landen auf dem feinen Sand an und ziehen das Boot an Land. Dann tappen wir erst einmal zur Anmeldung. Auch hier ist mächtig Betrieb, und wir müssen ein Weilchen warten, bis man sich um uns kümmert. Nachdem die Formalitäten erledigt sind, begleitet uns ein junger Typ mit Armeeklamotten und hohem Metallanteil im Gesicht zu der bescheidenen Auswahl noch nicht belegter Zeltplätze. Ein Stück Wiese direkt neben dem Strand kommt leider nicht in Frage, da es angeblich reserviert ist, und so bleiben uns eine kleine Wiese, wo wir uns zwischen einige ander Zelte dazuquetschen müssten oder ein noch leeres grasarmes Stück unter hohen Bäumen mit Aussicht auf die Büsche. Wir entscheiden uns für letzteres. Bald haben wir das Zelt aufgebaut, uns ein wenig darin eingerichtet und Kordula beginnt ein herrliches Gericht zu zaubern — Spaghetti mit angebratenen Zucchinischeiben und Käsesoße.

Nachdem unsere Mägen gefüllt und die Teller gespült sind, machen wir uns auf den Weg, um das Örtchen Kakeldütt zu erkunden, zu dem der Campingplatz gehört. Der Weg ins Dorf ist nicht weit, entsprechend viele Touristen spazieren die einzige Straße auf und ab oder werfen einen Blick in den Biergarten der Räucherkate, in der vergeblichen Hoffnung, jetzt, wo der Himmel aufgeklart ist, ein nettes Plätzchen unter freiem Himmel zu ergattern. Auch wir versuchen unser Glück, doch da alle Plätze besetzt sind, bringen wir zunächst unsere Dorfbesichtigung zu Ende. Auf dem Rückweg haben wir mehr Glück. Als wir an unseren Bieren nippen, dämmert es bereits. Der klare Himmel sorgt für unwillkommene Kälte, so dass sich der Biergarten schließlich zusehends leert. Irgendwann taucht unser Campingplatzeinweiser mit den vielen Gesichtspiercings auf. Scheinbar ist er mit der Kellnerin befreundet, was Kordula zu Überlegungen veranlasst, was das wohl Mädchen an ihm findet.

Als wir zum Campingplatz zurückkommen, ist es schon recht dunkel. Wir putzen unsere Zähne und krabbeln in unser Zelt. Irgendwann in dieser Nacht treibt mich meine Blase aus dem Zelt. Das ist der Preis, den ich für das Bier in der Räucherkate zahle. Doch ich muss mich nicht ärgern. Der fast volle Mond, der tief stehend aus einem mäßig bewölkten Himmel den Jamelsee in ein silbriges Licht taucht, sorgt für eine Kulisse wie aus einem Märchen. Wäre ich nicht so schrecklich müde, würde ich wahrscheinlich noch Stunden draußen stehen und staunen. So schließe ich den Augenblick in meine Erinnerungen ein und schlüpfe zurück in meinen Schlafsack.

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