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Ausflug nach Neustrelitz


Geländedarstellung: © 1998 Microsoft (Encarta)
[Fr, 18. Juli 2008]

Obwohl der Musikgeschmack des Campingplatz-DJs dem unseren nicht ganz entspricht, hat sich unser Entschluss, hier eine weitere Nacht zu verbringen, am Vorabend soweit gefestigt, dass unsere erste Aktion nach dem Frühstück — mit frischen Campingplatz-Brötchen — darin besteht, zur Rezeption zu latschen und uns einen weiteren Mietvertrag abzuholen. Auf unser Tagesprogramm haben wir Neustrelitz gesetzt. Ursprünglich hatten wir sogar überlegt, vom Campingplatz Groß Quassow aus in die Stadt zu paddeln, dort ein wenig Sight-Seeing zu betreiben und anschließend wieder zu unserem Quartier zurück zu paddeln. Doch die Farbe des Himmels und der Wetterbericht lassen uns schnell Plan B aus der Schublade holen. Und der sieht so aus, dass wir uns zu Fuß zum Bahnhof von Groß Quassow begeben und von dort den Zug nach Neustrelitz nehmen.

Nachdem wir unser Tagesgepäck beisammen haben, geht es los. Um 10.36 Uhr fährt der Zug, und wir können nicht genau abschätzen, wie lange wir marschieren müssen, so dass wir uns ein wenig ins Zeug legen. Doch der Weg nimmt nicht viel mehr als zehn Minuten in Anspruch, so dass wir bald am Ziel sind. Der Bahnhof entpuppt sich als unüberdachte Haltestelle auf freiem Feld, die mehr für die Touristen unterhalten zu werden scheint, als für die Bewohner wenige Kilometer entfernt liegenden Dörfchens. Zumindest an diesem Morgen bestimmt eine Gruppe lärmender Teenies das Bild, die offenbar gerade im Begriff ist, ihren Campingaufenthalt in Groß Quassow zu beenden. Einen Fahrkartenautomaten scheint es hier nicht zu geben. Von einem Mann, der sich vor dem gerade einsetzenden leichten Regen unter das schmale Dach einer Informationstafel geflüchtet hat, erfahren wir, dass man die Fahrkarten im Zug lösen kann. Wir drängen uns nun ebenfalls unter das Dach der Informationstafel, die als einzige etwas Schutz vor dem kühlen Nass bietet. Es entwickelt sich in kurzes Gespräch zwischen dem Mann und uns. Dass er der Leiter der Teenie-Gruppe ist, bekommen wir jedoch erst mit, als sich eines der Mädchen aus der Gruppe an ihn wendet.

Endlich kommt der Zug, ein recht kleiner gelber Schienenbus der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft ODEG, die diese Strecke betreibt. Das Gefährt ist proppenvoll, wobei die Passagiere, bei denen es sich ausnahmslos um Urlauber zu handeln scheint, lediglich die Hälfte des verfügbaren Platzes in Anspruch nehmen. Der Rest verschwindet unter Koffern, Fahrrädern und sonstigem Gepäck. Wir kommen kaum zur Tür hinein. Als wir es schließlich doch irgendwie geschafft haben, beginnt sich der Leiter der Teenie-Gruppe in Richtung Fahrkartenautomat vorzukämpfen, und ich folge ihm in seinem Windschatten. Leider wird der Automat von einer Gruppe von Radfahrern und deren Ausrüstung blockiert. Der Teenie-Gruppen-Leiter — offenbar mit dem hiesigen Tarifdschungel des Öffentlichen Personennahverkehrs vertraut — weist die Wegelagerer an, eine bestimmte Tastenfolge für ihn zu drücken und das Geld, das er ihnen reicht, an die Maschine zu verfüttern. Kurz darauf dampft er mit seinem Ticket wieder davon. Da ich über derart tiefgründiges Insider-Wissen nicht verfüge, verzichte ich auf ähnliche Anstrengungen und lasse das Schicksal darüber entscheiden, ob wir auf der wenig länger als zehn Minuten dauernden Fahrt nach Neustrelitz ohne weiteren Zwischenhalt des Schwarzfahrens überführt werden. Das Schicksal meint es jedoch gut mit uns, und so kommen wir um 10:46 Uhr unbehelligt in Neustrelitz an.

Der Regen hat inzwischen aufgehört. Wir starten unseren Bummel in Richtung Innenstadt. An der Post legen wir einen ersten Halt ein und ziehen uns unsere aktuellen Kontoauszüge, um zu checken, ob unsere Ex-Vermieterinnen inzwischen die restlichen 100,00 Euro Miet-Kaution herausgerückt hat, wozu sie vor unserem Urlaub von unserem Berater beim Mieterverein ultimativ bis zum 25.07 aufgefordert worden sind. Haben sie aber offensichtlich nicht. Genau prüfen kann ich das nicht, weil mir Kordula die Auszüge hastig aus der Hand reißt, als ihr einfällt, dass dort die Ausgaben für meine Geburtstagsgeschenke aufgelistet sein müssten. Wir gehen die Strelitzer Straße weiter, sehen uns dabei die Auslagen in den Schaufenstern der Geschäfte an und passieren den Markt, der von einem großen Verkehrskreisel eingeschlossen wird, ehe wir entlang der Seestraße in Richtung Schlossgarten weiter gehen.

Das eigentliche Schloss gibt es seit Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. An seiner Statt hat man ein verhülltes Gerüst errichtet, das den Grundriss des Gebäudes nachzeichnet. An der Vorderfront ist normalerweise ein Bild des ehemaligen Schlosses zu sehen, so dass man einen Eindruck vermittelt bekommt, wie es hier bis vor 63 Jahren etwa ausgesehen hat. Da das Konstrukt zugleich als Kulisse für das davor liegende Freiluftbühne dient, in der die alljährlichen Schlossgartenfestspiele stattfinden, bekommen wir an diesem Tag jedoch eine überdimensionierte Abbildung eines lächelnden Mondgesichts auf Sternbildhintergrund zu Gesicht - morgen abend steht hier das Musical "Frau Luna" auf dem Programm. Am heutigen Abend ist es eine Aufführung von Carl Orffs "Camina Burana", wie wir von einer Frau erfahren, die in dem kleinen Informationsbüro arbeitet, der im Sockel der Nachbildung des ehemaligen Schlossturms untergebracht ist. Wir überlegen, ob wir eine der beiden Aufführungen besuchen sollen, um unserem Urlaub auch etwas kulturellen Flair zu verleihen. Doch um abends nach der Vorstellung wieder nach Groß Quassow zurückzukommen, müssten wir das Auto vor Ort haben, weil so spät keine Züge mehr auf der Strecke verkehren. Das könnten wir zwar von hier aus bequem aus Kratzeburg abholen, doch so wichtig ist uns das Freilicht-Spektakel denn doch nicht, zumal wir nicht unbedingt mit trockenem Wetter rechnen können. Die Frau in dem Informationsbüro erzählt uns ein wenig über das Schloss, unter anderem, dass es nicht von den einrückenden russischen Truppen niedergebrannt worden ist, denen man es seinerzeit in die Schuhe geschoben hat, sondern von der SS, die in dem Schloss während des Krieges eine Zentrale unterhalten haben soll. Das tiefe Bedauern in der Stimme der Frau lässt den Verlust erahnen, den Neustrelitz mit diesem Vorfall erlitten hat. Für die Besteigung der Schlossturmattrappe knöpft uns die Frau dann noch 2,00 Euro ab, was deutlich überteuert ist, denn von oben gibt es eigentlich nichts zu sehen, was den Aufstieg wirklich lohnt. Die Parkanlage lässt sich überblicken, doch von der Stadt oder dem Zierner See sieht man wenig. Meinen Fotoapparat habe ich am Campingplatz vergessen, was ärgerlich ist, mich aber wenigstens davor bewahrt, an diesem Ort sinnlos Filmmaterial zu verschwenden. Mein Handy habe ich leider auch nicht mit. Hier könnte ich es an einer der Steckdosen ein wenig aufladen.

Wir ziehen weiter und kommen an der Orangerie vorbei, in der ein Restaurant untergebracht ist. Wir nehmen uns den Tipp der Frau vom Informationsbüro zu Herzen und gehen hinein, weil man dort einen Eindruck davon bekommen können soll, wie es in dem einstigen Schloss zu früheren Zeiten so ausgesehen hat. Die Kellnerin, die wir am Eingang noch höflich um Erlaubnis fragen, hat jedenfalls nichts dagegen, meint jedoch gleich, wenn wir wollten, könnten wir auch einfach einen Kaffee trinken. Keine schlechte Idee, auch wenn wir von unserer Aufmachung nicht so ganz in die Kulisse passen. Das einzige Paar, das sich außer uns hier niedergelassen hat, ist jedenfalls deutlich angemessener gekleidet. Wir setzen uns an einen der Tische an der langen Fensterfront und lassen das fürstliche Interieur mit weißer Stuckdecke, Kronleuchter und Statuen auf uns wirken. Bei der Bestellung unserer Cappuccinos lassen wir uns zu zwei Stücken Apfelstrudeln überreden. Es dauert eine Weile, bis wir die gebracht bekommen. Dafür entpuppt sich der Apfelstrudel als regelrechte Nachspeisen-Variation mit Eis und verschieden Sößchen. Das Mittagessen müssen wir nun wohl etwas nach hinten verschieben.

Wir setzen unseren Weg zum nahen Zierker See fort. Dort inspizieren wir die verschiedenen Einkehrmöglichkeiten. Eine Fischbraterei und ein Tapas-Restaurant in einem hübsch renovierten Hafengebäude erregen unsere besondere Aufmerksamkeit. Doch ersteinmal will der Apfelstrudel verdaut werden und wir spazieren die Uferpromenade in Richtung Norden entlang. Dann fällt uns wieder ein, dass wir in unserem Reiseführer etwas von dem Slawendorf, einem Freilichtmuseum, gelesen haben, das sich südlich am Ufer des Sees befindet. Also kehren wir um, marschieren denselben Weg zurück und weiter am Schlosspark vorbei, bis wir das Slawendorf erreicht haben.

Von außen ist nicht viel zu sehen. Ein etwa drei Meter hoher Palisadenzaun verwehrt jeglichen Einblick. Dafür ist man beim Eintrittsgeld sehr viel entgegenkommender. Anstelle des an einer Tafel angeschlagenen vollen Eintrittspreises verlangt man von uns lediglich 1,50 Euro pro Nase — laut Aushang der Preis für Studenten und Arbeitslose! Sehen wir etwa schon nach drei Tagen Urlaubstagen so abgerissen aus? Im Innern des Dorfes geht es hoch her. Eigentlich wirkt die ganze Anlage eher wie ein großer Abenteuerspielplatz als wie ein Museum. Anstelle von Gegenständen begaffen und Schautafeln lesen ist hier Mitmachen angesagt. Und so sind überall Kinder am Töpfern, Filzen, Flechten, Backen und was die Slawen hier seinerzeit sonst noch alles getrieben haben sollen, während sich die Eltern bei einer Tasse Kaffee einen Urlaub vom Urlaub gönnen. Eine nette, familienfreundliche Atmosphäre liegt über der Anlage. Meinen persönlichen Höhepunkt finde ich in dem Aussichtsturm, der erstens ohne zusätzlichen Eintritt 25% günstiger ist als die Schlossturmatrappe, zweitens in Holzbauweise wesentlich hübscher anzuschauen ist und drittens — und das ist das Entscheidende — die eindeutig sehenswertere Aussicht über den See und die dahinterliegende Stadt bietet. Auch der Nachbau des Slawenboots Nakon lohnt die kurze Inspektion, die wir ihm gönnen. Eine Fahrt damit bleibt uns jedoch versagt, da wir keine Gruppe mit ausreichender Personen darstellen und es uns auch nicht danach drängt auf eine solche anwachsen zu wollen. So statten wir dem kleinen Souvenirlädchen noch einen Pflichtbesuch ab, widerstehen den Versuchungen, die von der obligatorischen Pommesbude ausgehen, nehmen die Appetitanregung jedoch gerne mit auf den Weg zu unserem außerhalb des Slawndorfes gelegenen Mittagstischs.

Diesen hat Kordula gedanklich bereits in der Fischerei ausgemacht, an der wir zuvor vorbeigekommen sind. Auf dem Weg dorthin bleiben wir an einer seltsamen Skulptur hängen. Eine Öffnung erlaubt es, den Kopf in das Innere zu stecken. Mit Hilfe eines Brummtons, den man von sich gibt, soll man seine persönliche Resonanz finden, die einem bei anhaltendem Brummen ein gewisses Wohlbefinden beschert — so oder so ähnlich steht es zumindest auf dem Schild neben der Skulptur. Ich finde diese Frequenz leider nicht, Kordula ebensowenig, und so suchen wir unser Wohlbefinden in der Fischerei "Zum Fischerhof".

Die Gemütlichkeit, die von dem gar nicht mal so kleinen Selbstbedienungsrestaurant ausgeht, verdankt es in erster Linie der Aussicht durch die riesigen Glasfenster über den Zierker See und in zweiter Linie von den netten Sitzgruppen mit Eckbänken, von denen wir uns eine unter den Nagel reißen. Alternativ dazu könnten wir uns auch in einen der aufgestellten Strandkörbe fleezen, doch dann müssten wir uns wahrscheinlich mit einem Fischbrötchen oder so begnügen und unser Magen ruft inzwischen schon wieder nach etwas mehr. Kordula entscheidet sich nach intensiver Beratung durch den Küchenchef für einen Schlei, der noch am selben Morgen fröhlich durch den See geschwommen sein soll, nicht ahnend, dass dies der Tag sein wird, der ihn in die Bratpfanne führen soll. Für mich spielen weniger Überlegungen bezüglich der Frische des Fischs als vielmehr Art und Anzahl der in ihm enthaltenen Gräten eine Rolle, und so fällt meine Wahl auf das Rotbarschfilet, einen Salzwasserfisch, den ich in dieser Qualität und Frische wahrscheinlich in jeder beliebigen Ruhrpott-Filiale der Nordsee-Kette hätte haben können. Dafür ist Kordula umso begeisterter. Mit zwei großen Pötten Kaffee ziehen wir unseren Aufenthalt noch ein wenig in die Länge. Dann geben wir uns wieder dem harten Geschäft des Schaufensterbummelns hin.

Ein Abstecher in einen etwas nördlicheren Bezirk der Innenstadt führt uns dabei schnell ins einzelhandelskaufmännische Nirvana. Zurück in der Fußgängerzone versorgen wir uns dann mit einem Mindestvorrat an Postkarten. In einem Supermarkt, dem wir ebenfalls noch einen Besuch abstatten, satteln wir Heidelbeer-Joghurt, Pringles und ein paar Flaschen Flensburger Pils oben drauf. Leider verpassen wir dadurch die nächste Möglichkeit, Neustrelitz per Bahn Richtung Groß Quassow wieder zu verlassen und müssen anschließend noch eine knappe Stunde totschlagen.

Der nahe Tiergarten leistet uns dabei Unterstützung. Eigentlich ist die Zeit des Einlasses schon vorbei, und die Kasse weggesperrt, doch die Frau an der Pforte lässt uns trotzdem noch für die halbe Stunde ein, bevor der Tierpark um 19.00 Uhr seine Tore für diesen Tag endgültig schließt. Was sie mit der kleinen Spende macht, die wir ihr als Dankeschön auf den Tresen legen, bleibt ihr überlassen. Wir statten dem Lama einen Besuch ab und begutachten das Affengehege. Dann ist die Zeit auch schon fast wieder um, und wir müssen zum Ausgang.

Fahrkarten für die Rückfahrt nach Groß Quassow legen wir uns diesmal aufrichtigerweise zu. Für die 4,00 Euro müssen wir am Fernverkehrsfahrkartenautomat unsere EC-Karte bemühen. Der Zug ist pünktlich, und um 19.25 Uhr verlassen wir Neustrelitz, um um 19.35 Uhr in Groß Quassow wieder auszusteigen.

Als wir nach kurzem Fußmarsch, wieder am Campingplatz sind, ist es um unser Zelt herum voll geworden. Lediglich links von uns unter den Bäumen, wo am Vortag noch die Frau mit den drei Jungs gezeltet hat, hat unverständlicherweise niemand sein Zelt hingestellt. Dafür spanne ich jetzt meine Hängematte hier zwischen die Baumstämme. Als Kordula nach dem Abendessen in Richtung Duschen verschwindet, schreibe ich bei einem Bierchen meine ersten Postkarten. Vom Zentrum des Platzes, wo gestern noch Ballermann-Mucke erschallt ist, wehen heute die deutlich bekömmlicheren Klänge des Musicals "Die Schöne und das Biest" herüber, das dort auf einer Bühne in Szene gesetzt wird — die Musik kommt vom Band, die Schauspieler zum Teil aus dem Publikum. Kordula kommt zurück, und wir lassen uns von ein paar Igeln aufschrecken, die in der Dunkelheit um die abgelegten Kanus streifen und auch von unseren Zeltnachbarn zunächst der Ratten-Zugehörigkeit verdächtigt werden. Der weite Blick über den dunklen Woblitzsee, den mir der Weg zur Toilette und wieder zurück beschert, ist dann der letzte Höhepunkt dieses schönen Abends.

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