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Weiterfahrt nach Granzow


Geländedarstellung: © 1998 Microsoft (Encarta)
[Mo, 28. Juli 2008]

Die Entscheidung, noch einmal einen Standortwechsel vorzunehmen, hat sich eigentlich schon zu Beginn unseres Waren-Aufenthaltes herauskristallisiert. Auch wenn wir uns wenig auf unserem Campingplatz aufgehalten haben, ist er uns doch zu ungemütlich, als dass wir hier noch ein paar Nächte dranhängen wollten. Zumal mein 40. Geburtstag unmittelbar bevorsteht. Auch wenn ich bezüglich meiner Geburtstage ein anspruchsloser Zeitgenosse bin, einen etwas anderen Rahmen möchte ich dafür doch haben. Vor allem möchte ich ein letztes Mal unser Faltboot aufbauen und die wunderschöne Naturlandschaft Mecklenburgs aus der Wasserperspektive erleben.

Als wir nach dem Frühstück bei abermals herrlichem Wetter unser Zelt abbauen, ist unser Ziel der Campingplatz bei Zietlitz am Leppinsee. Das liegt inmitten des Müritz-Nationalparks strategisch günstig in der Mitte der sogenannten Alten Fahrt, einem Wasserweg zwischen der an der Großen Müritz gelegenen Bolter Mühle und dem Örtchen Mirow. Von dort aus, so haben wir uns überlegt, können wir also noch zwei nette Tagesausflüge mit Faltboot "Lisa" unternehmen.

Mit dem Packen sind wir recht zügig fertig. An der Rezeption des Campingplatzes gebe ich die Karte für die Schranke an der Einfahrt zurück, die wir dank der Fahrräder nun kein einziges Mal wirklich gebraucht haben. Dann fahren wir los. Nach gründlichem Kartenstudium haben wir uns entschlossen, quer durch den Nationalpark zu fahren, durch den einige wenige kleine Sträßchen führen. Die Hauptstraßen wären mit einem riesigen Umweg verbunden. Also fahren wir am Ende der Stichstraße zum Campingplatz erst einmal rechts — dorthin, von wo wir vorgestern mit den Fahrrädern gekommen sind. Am Ende dieser Straße lauert uns jedoch eine Schilderansammlung auf, die die Weiterfahrt verbietet. Ãœberrascht studieren wir noch einmal die Karte und finden heraus, dass eine zweite Straße, die von Waren aus in den Park hineinführt für den Autoverkehr geöffnet ist. Die müssen wir also jetzt finden.

Wir gondeln aus Ecktannen hinaus in Richtung Hauptstraße. Irgendwo auf dem Weg dorthin müsste es rechts wieder in den Nationalpark gehen. Doch die Beschilderung verrät uns nichts darüber. Wir landen auf der Hauptstraße und biegen bei der nächsten Gelegenheit rechts ab, nur um im großen Bogen an einen Kreisel zurückgeführt zu werden, an dem wir zuvor schon einmal vorbeigekommen sind. Wir fahren auf einen Parkplatz und vertiefen uns abermals in unsere Karten. Offensichtlich befinden wir uns genau an der Stelle, von wo aus man in Richtung Federow in den Nationalpark hineinfahren kann. Der Wegweiser am Kreisel verrät uns darüber allerdings nichts, sondern gibt lediglich den Namen einer Siedlung preis, die sich in dieser Richtung befinden soll. Verräterischerweise trägt die Straße den Namen "Federower Weg". Scheinbar ist nicht erwünscht, dass über diesen Weg die Automassen den Weg in den Nationalpark finden, weswegen man ihn einfach nicht ausgeschildert hat. Gute Sache! Wir werden ihn aber trotzdem benutzen. Zunächst jedoch schlüpfen wir noch einmal kurz in den Edeka-Markt an der Ecke, dessen plötzliches Auftauchen uns daran erinnert, dass ein paar unserer Vorräte einer Aufstockung bedürfen. Jenseits der Kasse fällt uns ein, dass wir eigentlich checken wollten, ob uns hier nicht noch eine Flasche Klabautermännchen in die Hände fällt — quasi als Andenken an die netten Abende in unserem Warener Lieblingsrestaurant. Also geht Kordula noch mal in den Laden und wird dort tatsächlich fündig.

Wir setzen unsere Fahrt fort. Neun Kilometer haben wir allein bis jetzt verbraten, nur um herauszufinden, wo wir überhaupt langfahren müssen. Die folgenden neun sollen uns dafür jedoch wie neunzig Kilometer vorkommen. Zunächst läuft alles prächtig. Über das asphaltierte Sträßchen, dessen zweiten Teil wir bereits vor zwei Tagen kennengelernt haben, erreichen wir sehr bald Federow. Danach geht es weiter nach Schwarzenhof, vorbei an dem gastunfreundlichen Restaurant Kranichrast. In Speck lassen wir uns erstmals über den Fortgang des Weges verunsichern, biegen an einer Weggabelung links ab und landen in einer Sackgasse. Nachdem wir unseren Fahler korrigiert haben, lassen wir mit Speck auch den asphaltierten Teil unserer Route hinter uns. Aus der Straße wird eine Piste, und aus der Piste eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern. Bald sind wir mitten im Wald und kommen nur noch im Schrittempo voran. Die wenigen Wegweiser, die uns jetzt noch begegnen, sind eindeutig für Radfahrer gedacht und von entsprechender Größe. Immerhin geben sie uns ein Mindestmaß an Orientierung. Ab und an kommen uns ein paar Fahrradfahrer entgegen, und ich fühle mich so richtig mies dabei, weiß ich doch nur zu genau, welche Schimpftiraden mir auf der Zunge lägen, würde ich als Radfahrer mitten in der Natur einem solchen Deppen begegnen, der auch den hintersten Winkel der Welt noch mit einem Auto befahren muss. Dabei sind wir auf diesen Wegen um den Komfort eines Autos nun wirklich nicht zu beneiden.

Nach gefühlten fünf Stunden wird unser Waldweg endlich von einer asphaltierten Straße gekreuzt. Ein Wegweiser verheißt uns Erlösung: rechts geht es nach Zietlitz. Erleichtert biegen wir ab und landen nach wenigen hundert Metern am Eingang eines mitten im Wald gelegenen Campingplatzes. Der Platz wirkt sehr ruhig, obwohl er augenscheinlich gut besucht ist. Vom Leppinsee ist von hier oben aus nichts zu sehen. Wir marschieren zur Rezeption und stehen vor verschlossener Tür. Ein Zettel verrät uns, dass vor 15.00 Uhr niemand hier die Türen öffnen wird. Ein zweiter Zettel verkündet, dass es keine Stellplätze mehr gibt. Super! Hätten wir aus der Lektion von Freitag etwas gelernt, dann hätten wir heute morgen vielleicht mal hier angerufen! Haben wir aber nicht! Als wir jetzt in einem Akt der Verzweiflung die Telefonnummer aus dem Anhang unseres Gewässerführers heraussuchen, um unser Glück zu versuchen, landen wir bei irgendeiner Zentrale, die für mehrere Campingplätze zuständig zu sein scheint und uns hier auch nicht weiterhelfen kann. Was sollen wir tun? Eineinhalb Stunden warten, in der Hoffnung, dass sich die Bezeichnung Stellplatz auf Wohnmobile und ähnliches bezieht, wir das Auto außerhalb des Platzes abstellen und unser Zelt auf irgendeiner Wiese noch dazustellen können — verbunden mit dem Risiko, am Ende doch weitergeschickt zu werden? Oder einfach das Zelt schon mal auf besagter Wiese aufbauen und so vollendete Tatsachen schaffen? Ich bin für letzteres, Kordula befürchtet, dass wir uns damit keine Sympathien bei den Campingplatzbetreibern verschaffen. Unentschlossen schlendern wir über den Platz, hinunter zum See. Doch die schönste Zeit unseres vorletzten richtigen Urlaubtages hier sinnlos zu vertrödeln, dazu haben wir auch keine Lust. Also beschließen wir, es in Granzow beim nächsten Campingplatz zu probieren, auch wenn der strategisch nicht ganz so günstig liegt. Diesmal jedoch rufen wir vorher an. Leider erreichen wir niemanden und beginnen schon wieder, uns in unserem Frust zu suhlen, als plötzlich das Handy klingelt. Jemand vom Campingplatz in Granzow ruft zurück und erklärt uns auf unsere Fragen hin, dass es in Granzow noch Zeltmöglichkeiten gibt, der Platz jedoch so klein ist, dass dort sowieso keine Autos drauf dürfen und diese außerhalb geparkt werden müssen. Uns ist das schnuppe! Wir ergreifen die Gelegenheit beim Schopfe, diesen Tag nicht in einem völligen Fiasko enden zu lassen, und springen ins Auto.

Diesmal geben wir höllisch darauf acht, nicht vom asphaltierten Weg abzukommen. Den weit geschwungenen Weg über Qualzow nehmen wir dabei gerne in Kauf. Bald erreichen wir Granzow. Der Ort ist sehr klein und der Campingplatz schnell gefunden, auch wenn wir dafür dann doch nochmal über einen von Schlaglöchern übersäten Feldweg hoppeln müssen. Wir parken das Auto nahe bei der Zeltwiese, melden uns an der Rezeption an, wo wir unter anderem einen DinA5-Zettel ausgehändigt bekommen, der als Parkberechtigungsschein für den Parkplatz der Ferienanlage Mirow am Ortseingang von Granzow dient, und suchen uns einen Platz für unser Zelt. Wieder einmal heißt es, die Vorzüge einer saftig grünen und weichen Unterlage gegen die eines schattigen Baumes abzuwägen. Letzten Endes entscheiden wir uns für die von letzterem, wobei uns die hochsommerlichen Temperaturen willkommene Hilfestellung leisten. Wir rücken ein paar der großzügig über den kleinen Platz verteilten Bierzeltgarnituren beiseite — nicht ohne uns zuvor eine der Bänke für den Platz vor unserem Zelt zu sichern —, so dass neben dem Zelt auch noch unser Sonnensegel seinen Platz findet. Dann wird auch Faltboot "Lisa" endlich wieder aufgebaut.

Als wir das Auto zu seinem Parkplatz bringen, nutzen wir die Gelegenheit gleich für einen kleinen Ortsrundgang. Schließlich gilt es, herauszufinden, wo sich der Laden befindet, an dem man morgens Brötchen bekommen kann, nicht dass wir die letzten Tage des Urlaubs plötzlich ohne unsere morgendlichen Brötchen auskommen müssen. Wir finden den Laden und inspizieren das Angebot, wobei unser besonderes Augenmerk den Obstweinen aus Petzow bei Werder an der Havel gilt, wo wir zwei Jahre zuvor einen ausgesprochen köstlichen Sauerkirschwein entdeckt haben, der sich im hiesigen Sortiment jedoch leider nicht wiederfindet. Dann schlurfen wir zum Campingplatz zurück und kochen uns ein verspätetes Mittagessen.

Der Platz hat sich inzwischen gefüllt. Direkt neben uns hat sich eine etwa fünf- bis sechsköpfige Patchwork-Familie niedergelassen und eine mittelgroße Zeltstadt errichtet. Die beiden Erwachsenen bemühen sich, den wuseligen Haufen bei Laune zu halten. Insgesamt ist die Atmosphäre auf dem kleinen Campingplatz sehr nett. Die Abwesenheit jeglicher Autos tut ihm zweifellos gut. Die Kanuwanderer dominieren das Bild. Lediglich das direkt angrenzende Strandbad, an dem sich auch jede Menge Gäste der Ferienanlage Mirow tummeln, vermag es, die Idylle ein wenig zu stören.

Nachdem unsere Mägen wieder gefüllt sind, können wir endlich unsere Paddeltour in Angriff nehmen. Angesichts des nicht mehr ganz so jungen Tages, ist es nun recht günstig, dass es von dem Quartier, zu dem es uns verschlagen hat, nicht mehr ganz so viele Kilometer bis nach Mirow, unserem Ausflugsziel sind. So können wir es gemächlich angehen lassen. Befreit von der Last des Gepäcks, das wir die Woche zuvor mit uns über die Gewässer Mecklenburgs transportieren mussten, gleiten wir wie von selbst über die Wasseroberfläche und gelangen von dem an den Campingplatz grenzenden See mit dem Namen Granzower Möschen in einen gewundenen Flussabschnitt, der uns schon nach kurzer Zeit in den Mirower See entlässt. Motorboote und Kanus dümpeln auf den Wellen, die von einem stetigen Wind angetrieben werden. Ein Boot mit einem Wasserskifahrer im Schlepptau dreht seine Runden. Wir halten auf Mirow zu, gleiten langsam am Ostufer des Sees entlang und entscheiden uns dann, an der Schlossinsel zu landen, wo bereits andere Kanuwanderer ihr Boot an Land gezogen haben.

Mit dem Vorsatz, den Ort in Augenschein zu nehmen und uns vielleicht irgendwo einen Kaffee oder ähnliches zu gönnen, ziehen wir los. Das Schloss, hinter dem gerade ein Zirkus seine Zelte aufzuschlagen scheint, erweist sich jedoch bald als einzige echte Sehenswürdigkeit. Ein wirkliches Ortszentrum, wo man an Schaufenstern entlangbummeln oder sich gemütlich auf einer Bank fleezen kann, suchen wir vergebens — auch wenn wir alle vier Himmelrichtungen abmarschieren, die von der Kreuzung mit der Ampel im Zentrum wegführen, an der der gesamte Durchgangsverkehr vorbeibraust. Wir beschließen, unsere Suche auf ein nettes Café oder einen Biergarten zu beschränken.

Schließlich landen wir im Hinterhof des Restaurants Zum Goldenen Löwen. Dass wir die einzigen Gäste sind, passt ins Bild, das wir inzwischen von Mirow gewonnen haben. Eigentlich wollen wir nur etwas trinken, doch so dauerhaft sättigend war unsere Campingküche heute nicht, als dass wir dem Angebot der Speisekarte allzu heftigen Widerstand entgegensetzen könnten. Und so bestellen wir uns zu dem Köstritzer und dem Radler eben noch zwei Kleinigkeiten, ein Bauernfrühstück und ein "Harzer Schnitzel". Allmählich füllt sich der Biergarten doch noch mit anderen Gästen, so dass wir uns jetzt auch nicht mehr ganz so verloren vorkommen müssen. Im Reiseführer entdecken wir eine Beschreibung des Restaurants, in dem auch ein Papagei names Koko Erwähnung findet, der sich bei den Gästen erkundigt, ob es ihnen auch geschmeckt hat. Tatsächlich befindet sich ein Papageienkäfig im Inneren des Restaurants, jedoch soll es sich dabei inzwischen um einen Nachfolger von Koko handeln, wie wir bei einem Gespräch am Nachbartisch aufschnappen. Was in dem Reiseführer unberechtigterweise keine Erwähnung findet, ist, dass jeder Gast die Chance erhält, sich sein Essen zu erkniffeln — bei fünf gleichen Augenzahlen in einem Wurf mit dem Würfelbecher soll uns die Rechnung erlassen werden. Ãœber die Jahre hinweg haben das bereits etliche geschafft, wie uns die Kellnerin erläutert. Obwohl Kordula in unserer internen Urlaubskniffelmeisterschaft aktuell keinen Lauf hat und aussichtslos im Hintertreffen liegt, lasse ich sie würfeln. Wenn es ums Essen geht, mobilisiert sie mit Sicherheit all ihre Glücksreserven. Doch mehr als ein Achtungserfolg mit drei Dreien bekommt sie nicht zustande, und so zahlen wir brav unsere Rechnung, bevor wir uns wieder auf den Weg zu unserem auf der Schlossinsel wartenden Faltboot machen. Wie immer, wenn wir "Lisa" irgendwo unbeaufsichtigt zurücklassen, ist uns ein wenig mulmig, da sich ja irgendein zwielichtiger Zeitgenosse in der Zwischenzeit an dem Boot vergriffen haben könnte. Entsprechend erleichtert sind wir, als wir "Lisa" mitsamt Ausrüstung unangetastet vorfinden.

Auf dem 3 km langen dem Rückweg nach Granzow lassen wir uns noch mehr Zeit wie bei der Hinfahrt nach Mirow, um auch noch die allerletzten Sonnenstrahlen mitzunehmen, mit denen der Mirower See an diesem Abend in sein herrliches Licht getaucht wird. Erst als die Sonne hinter den Baumwipfeln verschwunden ist, tauchen wir wieder in den Flussabschnitt ein, der uns zum Granzower Möschen und unserem Campingplatz zurückführt.

Den Rest des Abends genießen wir kniffelnd und lesend vor dem Zelt. Im Waschraum versuche ich, den Akku meines Handys mit dem Minimum an Strom zu versorgen, den es für den kommenden Tag braucht. Leider gibt es hier keine von außen abschließbaren Kabinen mit Steckdosen, so dass der Vorgang meiner Anwesenheit bedarf, die ich jedoch auch nicht ins Unerträgliche anwachsen lassen möchte. Es ist mein letzter Abend als 39-jähriger, und ich bin ein bisschen melancholisch deswegen. So sehr Kordula auch drängt, bis Mitternacht auf zu bleiben und in meinen Geburtstag hineinzufeiern, ich bleibe stur, um ein letztes Mal als 39-jähriger ins Reich der Träume hinübergleiten zu können.

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