An diesem Morgen deutet zunächst nichts hin, dass dies der schönste Tag unseres Urlaubs werden soll. Das Wetter zeigt sich mal wieder von seiner grauen und kühlen
Seite. Nach dem Frühstück — auch heute wieder mit Brötchen, die wir abends zuvor in der Rezeption bestellt haben — packen wir unsere Sachen. Unser
Zeltschild in Form einer abgelaufenen Telefonkarte, die belegen soll, dass wir unsere Übernachtung hier auch bezahlt haben, ist rätselhafterweise verschwunden,
was wir artig bei der Rezeption melden. Wie sich herausstellt hat die Campingplatzbetreiberin die Dinger gestern abend bei ihrer Kontrollrunde höchstpersönlich
eingesammelt. Blinder Alarm unsererseits also. Das Zelt
ist wie schon des öfteren gut befeuchtet, und der allgegenwärtige Sand tut sein Übriges, um unsere Motivation zu drosseln.
Als wir uns vom Ufer abstoßen,
ist es schon recht spät. 21 km haben wir uns für heute als Ziel gesetzt: vom Gobenow See durch das Drosedower Beek in den Rätzsee, danach durch die Oberbeck in den
Vilzsee, weiter nach Diemitz, über den Labussee nach Canow, von dort in den Canower See und in den angrenzenden Kleinen Pälitzsee, an dessen Nordufer sich der
Campingplatz befindet, der unsere Ausgangsbasis für die Tour nach Rheinsberg am nächsten Tag werden soll. Die haben wir mittlerweile mit auf unseren Fahrpan genommen,
auch wenn der Weg dahin eine Sackgasse bedeutet, die wir hinterher wieder zurückpaddeln müssen. Wir könnten die 21 km für den heutigen Tag jedoch auch erheblich abkürzen,
indem wir einfach den Gobenow See überqueren und durch die Dollbeck direkt in den Labussee einfahren, von wo aus wir bald in Canow sein würden. Das Wetter und die Uhrzeit
sprechen nicht gerade massiv dagegen. Erst als wir auf dem Wasser sind, entscheiden wir uns für die erste Variante — wobei wir schon jetzt in Kauf nehmen, den
Kleinen Pälitzsee an diesem Tag womöglich nicht zu erreichen. Doch wir sollen uns irren.
Als wir auf das
Drosedower Beek
zuhalten, zeigen sich im Norden zum ersten Mal wieder blaue Lücken zwischen den Wolken. Wenig später — wir haben den See gerade
verlassen — zwingt uns ein kurzer Regenschauer schon wieder unter die Blätter der am Ufer stehenden Bäume. Doch scoh wenig später kommt die Sonne raus, um uns
für unseren Mut zu belohnen. Das Drosedower Beek entpuppt sich als wahres Naturidyll. Ursprüngliche Vegetation zu beiden Seiten des Flusslaufs und Seerosen über
Seerosen. Gemächlich paddeln wir den gewundenen Bach entlang und saugen die wunderbaren Eindrücke in uns auf. Als wir den Rätzsee erreichen, wissen wir bereits, dass sich
der Umweg gelohnt hat. Zudem haben wir inzwischen allen Grund nach der Sonnencreme zu kramen.
Ausgehend von der Karte in unserem Gewässerführer habe ich mir den Rätzsee als eher uninteressantes, weil langgestrecktes und eintöniges Gewässer vorgestellt. Zudem soll er
bei Wind aus westlichen Richtungen recht unangenehm zu paddeln sein. Tatsächlich kommt der Wind aus Westen, wenn auch längst nicht so geballt wie am Vortag auf dem
Plätlinsee. Unter der ungewohnten Sonne ist die Fahrt ein pures Vergnügen. Wir wechseln alsbald auf die Westseite, um einerseits dem Wind ein wenig die Puste zu nehmen
und um andererseits Ausschau nach einem der schönen Rastmöglichkeiten zu halten, von denen in unserem Kanuwanderführer die Rede ist. Nachdem wir etwa zwei Drittel
unserer Wegstrecke auf dem See zurückgelegt haben, werden wir an einer in den See ragenden
Landspitze
fündig. Eine Lücke im Schilf bahnt uns den Weg zu einem
Plätzchen, wie wir es schöner auch in Schweden nicht hätten finden können. Hier müssen wir mehr machen als nur eine Brötchenpause, und so kramen wir unseren
Campingkocher und ein Päckchen Linsensuppe heraus. Zum ersten Mal in diesem Urlaub verspüren wir wieder dieses berauschende Gefühl von Freiheit und Abenteuer, das uns
zu diesen Reisen antreibt.
Auch nach dem Essen lassen wir uns Zeit. Von unserem Plan, an diesem Tag 21 km zurückzulegen, haben wir uns inzwischen verabschiedet, ohne jedoch genauer darüber
nachgedacht zu haben, wo wir unsere Etappe stattdessen enden lassen. Der nächste Campingplatz, ab dem Punkt, wo uns die Lust oder die Kraft ausgeht, wird es denn wohl
sein, wo immer der auch liegen mag. Während Kordula döst, untersuche ich einen kleinen Trampelpfad, der von unserem Rastplatz wegführt und stoße auf eine Wanderhütte
nebst Wanderweg, der den See entlangzuführen scheint. Auf dem Rückweg kümmere ich mich um den Nachtisch und pflücke ein paar Beeren. Danach lese ich Kordula noch ein
wenig aus dem Katzen-Roman von Rita Mae Brown vor.
Wie meistens an solchen Orten ist Kordula diejenige, die für Aufbruchsstimmung sorgt. Ich für meinen Teil könnte ewig hier unter im Halbschatten der Bäume faulenzen.
Doch wie immer beuge ich mich auch diesmal dem Joch der verstreichenden Zeit. Zurück im Boot fliegen wir regelrecht über das Wasser und erreichen das Ende des Rätzsees
viel schneller als erwartet. Die Oberbeck, der nächste Flussabschnitt auf unserer Route, wartet mit einer kleinen Überraschung auf — eine
Umtragestelle, die wir
auf unserer Karte einfach übersehen haben. Beinahe wären wir in die Wehranlage der Fleether Mühle gepaddelt. Nachdem wir unseren Irrtum erkennen, gehen wir zwischen einer
recht großen Gruppe anderer Kanuten an Land, bocken unser Boot auf den Wagen, und schieben es zur Straße hoch. Auf der anderen Straßenseite lockt hinter dem verfallenen
Mühlen-Gebäude ein hübscher Biergarten, doch wir können ja nicht schon wieder eine Pause machen. Also dirigieren wir "Lisa" weiter zum nächsten Gewässer, dem
Vilzsee.
Von ihm nehmen wir nur einen kurzen Eindruck mit. Ein Seefahrtzeichen weist uns den Weg zum östlich von uns gelegenen Großen Reetschsee und erinnert uns daran, dass wir
uns die Seen-Landschaft von nun an wieder mit den motorisierten Wasserwanderern teilen müssen. Doch als wir die
Schleuse Diemitz
erreichen, lassen wir alles an Motorbooten
hinter uns, was uns auf dem kurzen Abschnitt seit der Umtrage überholt hat. Ein nettes Gefühl, an der langen Schlange der am Ufer Wartenden vorbeizupaddeln, um dann
direkt in die Schleuse einzufahren, die sich eben geöffnet und die in die Gegenrichtung fahrenden Boote entlassen hat. Neben den fünf bis sechs großen Motorbooten ist für
eine Handvoll Kanus immer Platz und so darf man sich als Paddler höchst offiziell einfach vordrängeln. Cool! In der Schleuse ist uns dann aber zwischen all den
steil aufragenden Bootswänden doch ein wenig mulmig zumute, zumal nicht jeder der dort agierenden Freizeitkapitäne den souveränsten Eindruck macht. Prompt fällt von dem
Boot ganz vorne in der Schleuse ein älterer Mann ins Wasser. Augenscheinlich kommt er mit dem Schrecken davon, dennoch fertigt der Schleusenwärter erst einmal einen
kurzen Unfallbericht an, ehe es weitergeht.
Wenig später befinden wir uns bereits auf dem
Labussee,
und so langsam wird es Zeit sich Gedanken zu machen, wo wir die kommende Nacht denn nun verbringen wollen. Den einen
in Frage kommenden Campingplatz lassen wir gerade linker Hand liegen. Von dem zweiten trennen uns nur noch etwas mehr als zwei Kilometer. Doch im Augenblick haben wir
das Gefühl, dass wir noch ewig weiter paddeln könnten. Die lange Mittagspause hat unseren Kraftreserven gut getan, und der Hunger lässt auch noch auf sich warten. Davon
abgesehen ist das Wetter wie aus dem Bilderbuch. Also setzen wir unsere Tour fort und verlassen uns darauf, dass wir an der Schleuse in Canow ähnlich zügig durchkommen werden.
Im Kanal vor der Schleuse werden wir dann Zeuge eines verbalen Schlagabtauschs zwischen zwei Motorbootkapitänen. Der eine von ihnen hat offensichtlich nicht erkannt, dass
er sich bereits im Wartebereich der Schleuse befindet — allem Anschein nach weiß er mit der Beschilderung nichts anzufangen — und ist an der am Ufer wartenden
Konkurrenz vorbeigeschippert. Um nicht wenden zu müssen, legt er an einem freien Platz vor den Wartenden an. Einer der Überholten plustert sich daraufhin unheimlich
auf und zieht ordentlich vom Leder, während der Vordrängler sich zunächst noch in Erklärungen und Entschuldigungen versucht. Irgendwann schießt er dann aber auch zurück.
Hat ein bisschen was von Sandkastenstreit und ist sehr lustig anzusehen, während wir selbst an den beiden Streithähnen vorbeiziehen, um uns noch weiter vorne einzureihen.
Auch vor der
Schleuse Canow
müssen wir nicht lange warten. Wie schon kurz zuvor in Diemitz, haben sich die Tore gerade geöffnet, als wir ankommen. In der
Schleusenkammer muss sich einer der Motorbootinsassen aber schnell mal eines unserer Paddel schnappen, um sein in unsere Richtung driftendes Boot damit von der
Wand wegzustoßen. "Ist in ihrem eigenen Interesse", sagt er, was wohl so etwas wie eine Entschuldigung sein soll. Wieder haben wir etliche Motorbootfahrer hinter
uns gelassen und fühlen uns, als ob wir auf einer Überholspur paddeln. Von nun an ist auch klar, dass wir unsere 21 km an diesem Tag tatsächlich paddeln werden, denn
am Canower See befindet sich kein Campingplatz. Also müssen wir weiter zum Kleinen Pälitzsee, wo wir in etwas mehr als zwei Kilometer Entfernung auf unser Nachtquartier
stoßen werden.
Als wir den Kleinen Pälitzsee erreichen, müssen wir erst ein wenig suchen. An der Stelle, wo sich der Campingplatz befinden soll, erkennen wir lediglich eine Reihe
verlassen wirkender Wochenendhäuser. Und auch die Wohnwagen nebenan wirken recht unbelebt. Schließlich finden wir die
Anlandestelle
und steigen aus. Der Campingplatz
scheint nicht gerade das Mekka der Kanuwanderer zu sein. Nachdem wir noch am Vortag in Mitten einer Horde gehaust haben, wirkt die hiesige Ruhe umso konrastreicher
auf uns. Möglich, dass einfach nur das zu Ende gehende Wochenende für die Atmosphäre hier verantwortlich ist. Kordula macht sich auf die Suche nach der Rezeption,
während ich mich an ein paar Techniken übe, wie man das Faltboot mit nur einer Manpower aus dem Wasser und auf den Bootswagen bekommt. Währenddessen lässt sich Kordula
bei der etwas spießig auftretenden Campingplatz-Verwaltung ein gelbes Schild für unser Zelt laminieren. Möglich, dass für diesen Akt unsere Rechnung von 14,50 Euro
auf 15,00 Euro aufgerundet wird. Wir suchen uns auf einer der unteren Terasse ein nettes Plätzchen für unser Zelt und achten darauf, dass der Weg zu der überdachten
Tischgruppe am Uferstreifen unter uns nicht zu weit wird. Links von uns haben bereits zwei Radfahrerinnen ihr Quartier bezogen und schütten sich jetzt
ein Bierchen in die Rübe, während die Abendsonne ihre nassen Klamotten vom Vortag zu trocknen versucht. Direkt oberhalb von uns befindet sich einer der wenigen
Dauercamper-Wohnwagen dieses Campingplatzes, der an diesem Abend bewohnt ist. Wir verlassen uns einfach darauf, dass das Pärchen sich nicht zu sehr daran stört,
dass wir ihnen so nah auf die Pelle rücken. Allerdings verschwinden die beiden dann doch recht schnell von ihrer kleine Terasse in die eigenen vier Blechwände.
Unterdessen machen wir es uns bei der überdachten Tischgruppe gemütlich, essen noch ein wenig zu Abend — Kordula hat in dem Laden, der an die Rezeption
angeschlossen ist, Bier und zwei dicke Bockwürste erstanden — und geben uns unserer Kniffelleidenschaft hin. Später vor dem Schlafengehen lassen wir
das Farbspiel des Himmels und die Weite der dämmrigen Landschaft auf uns wirken, die sich einem oben auf der freien Fläche um das Sanitärgebäude herum eröffnet.
Danach studieren wir die sehr aufschlussreichen Schilder, mit denen die Campingplatz-Verwaltung die Innen- und Außenwände des Sanitärgebäudes zugepflastert hat.
"Bitte alle Dauercamper an der Rezeption melden" steht da ohne Angaben eines Datums zu lesen, oder auch "Wegen Vandalismus verfügt die Toilette über kein Klopapier".
Soso! Sei's drum. Wir bleiben ja nur eine Nacht.