Der Morgen hält eine freudige Überraschung für uns bereit — die Sonne scheint und sucht sich ihren Weg durch das Laubdach der Bäume
zu unserem Zelt. Der Himmel gibt sich zwar alles andere als wolkenlos, so dass die Sonne immer wieder zu einem Päuschen gezwungen wird,
dennoch macht sich bei uns Optimismus breit. Wir holen unsere Prepaid-Brötchen ab. Die haben wir schon am Vortag bei unserer Anmeldung
bestellen und bezahlen müssen, und nun liegen sie auf einem großen Ramschtisch vor der Rezeption bereit, wobei man das Gefühl hat, dass hier
vor allem diejenigen zum Zug kommen, die rechtzeitig aufgestanden sind, und nicht unbedingt diejenigen, die die Dinger auch bestellt und bezahlt
haben.
Wir genießen unser Frühstück. Anschließend machen wir uns ans Packen, was nicht ganz so zum Genießen ist. Vor allem die klebrige Kombination
aus Sand und Feuchtigkeit, die sich wie ein Film über unsere gesamte Ausrüstung gezogen hat, dämpft unsere Lust auf Outdoor-Aktivität erheblich.
Das Innenzelt müssen wir abermals separat verpacken. Das Außenzelt schleppen wir ein Stück die Böschung hinauf, wo die sporadisch in Aktion
tretende Sonne etwas besser zwischen
den Bäumen hindurchscheinen kann, und lassen es, an zwei Heringen fixiert trocknen, während wir den übrigen Kram verstauen. Anschließend schieben
wir das Boot zur
Einsatzstelle am Strand,
wo wir gestern gelandet sind. Erst danach packen wir das inzwischen getrocknete Außenzelt ein. Das ganze
wird dadurch etwas stressig, weil an der Einstiegsstelle mittlerweile reger Verkehr herrscht. Nach dem Dauerregen vom Vortag brennt der Campingplatz
darauf, heute wieder Boote zu Wasser lassen zu können. Kordula hingegen lässt sich von meiner Unruhe nicht anstecken, sondern beobachtet ganz
hingerissen die umherwuselnden Kinder, die sich auf ihr großes Paddel-Abenteuer an diesem Tag vorbereiten.
Endlich — inzwischen ist es schon wieder fast 12.00 Uhr — sitzen auch wir im Boot und gleiten auf den Jamelsee hinaus und auf den
kleinen Kanal
am Ende des Sees zu, der uns zurück auf die Havel bringen wird. Einige der anderen Bootsbesatzungen verzichten auf diese Hürde
und begnügen sich mit der Idylle des Jamelsees. Wir dagegen sind schon bald wieder damit beschäftigt, unser Faltboot durch die Untiefen des
Kanals zu treideln. Wir biegen rechts auf die Havel ein und setzen unseren Weg vom Vortag fort. Bald erreichen wir Kakeldütt. Wir unterqueren
die Brücke, an deren Straße die Räucherkate liegt, an der wir gestern abend noch unser Bierchen geschlürft haben. An einem Bootshaus, das zugleich
Ferienhaus
ist, erspähen wir eine Box mit Prospekten über Ausstattung und Preis des Ferienhauses. Die Box ist in Reichweite vorbeipaddelnder Wasserwanderer
angebracht. Also nehmen wir auch so ein Prospekt mit. Bei dem Manöver auf dem schmalen Fluss, das erforderlich ist, um an die Box zu gelangen, an der
wir praktisch schon vorbeigefahren sind, bekleckere ich mich nicht gerade mit Ruhm. Doch dann haben wir es geschafft und können schon mal von
zukünftigen Urlauben in dieser Region träumen, bei denen man sich an Regentagen nicht so verzweifelt fühlen muss wie wir am Vortag.
Nach etwas mehr als 2,5 km verlassen wir die zum Teil sehr enge und zwischen dichtem Schilf versteckte Havel und gelangen für wenige hundert Meter
auf den Görtow-See, wo wir die Rote Rotte wiedertreffen, und uns ein paar Sprüche anhören müssen, weil Kordula gerade eine Paddelpause einlegt.
Nach einem weiteren, diesmal kürzeren Flussabschnitt schließt sich der Zierzsee an, der eher so etwas wie einen Wurmfortsatz des großen Useriner
Sees als einen eigenständigen See darstellt.
Das Erreichen des Useriner Sees bedeutet einen Bruch in unserem bisherigen Tourverlauf. Bisher sind wir nur auf kleinen, sehr übersichtlichen
Seeflächen gepaddelt, die die Wanderung interessant und abwechslungsreich gestaltet haben. Jetzt liegt der erste einer ganzen Reihe von großen
Seen vor uns, die wir während der nächsten Tage zu bewältigen haben. Über 4 km müssen wir bis zum Ende des Sees hinter uns bringen. Dazu kommt,
dass uns der Wind fröhlich ins Gesicht bläst und die Wellen ordentlich auf Trab hält. Während sich der größere Teil der Kanuaktivisten an diesem
Tag am Westufer des Sees südwärts hangelt, halten wir auf die Ostseite zu. In Userin befindet sich laut unserem Gewässerführer ein Wasserwanderrastplatz,
und dort wollen wir unsere wohlverdiente erste Pause dieses Tages in Anspruch nehmen. Doch bevor es soweit ist, bekommen wir ersteinmal eine
Dusche verpasst. Der Himmel hat sich nach unserem Aufbruch allmählich wieder seinem gestrigen Pottpüree aus Grautönen angenähert. Der nun einsetzende
Regen war also absehbar. Unerfreulich ist er trotzdem. Wir rollen unsere Spritzdecke über dem offenen Boot aus, zupfen unsere Kapuzen zurecht und paddeln
weiter. Zum Glück bleibt es bei einem Schauer. Als wir das Useriner Ufer erreichen, hat der Regen wieder aufgehört.
Der Wasserwanderrastplatz von Userin,
macht nicht allzuviel her. Immerhin gibt es eine überdachte Tischgruppe, von der ein anderes Paddlerpärchen
gerade aufbricht, als wir uns zu ihnen gesellen wollen. Auf einer Anhöhe befindet sich ein Dixi-Klo, für das wir ebenfalls Verwendung finden.
Wir machen uns an der Tischgruppe breit, packen unsere Brötchen aus und versuchen den Blick über den See zu genießen. Bei Sonnenwetter kann man
von hier aus traumhafte Fotos schießen, wie unser Kanuwanderführer eindrucksvoll beweist. Bei den Fotos, die wir an dieser Stelle machen, wird
man hinterher kaum glauben wollen, dass es sich um dieselben Motive handelt — ein Gedanke, der mich zutiefst frustriert. Schließlich sind
wir nicht allein um des Paddelns Willen hierher gereist. Ein Mann, der am Ufer entlanggeht und dabei ins Wasser starrt, lenkt uns von diesen
trübsinnigen Gedanken ab. Ob wir einmal eine Ringelnatter sehen möchten, ruft er zu uns herüber. Wenige Augenblicke später stehen wir neben ihm.
Tatsächlich ringt dort eine kleine Schlange mit den Wellen. Ob es sich dabei wirklich um eine Ringelnatter handelt, sei mal dahingestellt.
Jedenfalls fällt seine Antwort auf Kordulas Frage, woran man eine Ringelnatter denn erkennt, nicht allzu fundiert aus. Wir schauen der Schlange
ein Weilchen zu, dann verschwindet sie zwischen den Holzpfählen, mit denen das Ufer hier befestigt ist.
Als wir wieder aufs Wasser hinausgleiten, werden unsere Paddelbewegungen für eine ganze Weile von einem seltsamen Geräusch begleitet, das auf
merkwürdige Weise metallisch oder elektronisch klingt. Auch wenn es von weiter weg zu kommen scheint, muss es doch irgendwie vom Boot stammen,
denn es ertönt zweifelsfrei im Rhythmus unserer Paddelschläge. Ohne dass wir seine Herkunft ergründen können, verschwindet es schließlich
wieder.
Wir halten auf das Südende des Sees zu, wo es unweit der Useriner Mühle recht lebhaft zugeht. Von hier aus brechen zahlreiche Kanus
auf. Womöglich ist hier irgendein Boostverleiher aktiv. Von dem Treiben ein wenig abgelenkt, bemerken wir zu spät, dass wir nicht, wie
zunächst vermutet, den Ausfluss des Sees vor unserem Bug haben, sondern lediglich eine Bucht, an der ein paar Ferienhäuser stehen.
Verwirrt studieren wir die Karte unseres Gewässerführers, die sich hier zum ersten Mal als etwas ungenau erweist. Erst als wir am Westufer
das Sees ein ganzes Stück in Richtung Norden gepaddelt sind, öffnet sich zu unserer Linken eine Bucht, in welcher wir den
Ausfluss
finden.
Der sich anschließende Kanal endet für uns nach nur wenigen hundert Metern an der ersten Schleuse dieses Urlaubs.
Zu Kordulas großem Bedauern ist die
Schleuse Zwenzow
keine Selbstbedienungsschleuse. Noch unpraktischer ist, dass sie nur zu festen Schleusenzeiten in Betrieb ist.
Was aber richtig unschön ist, dass diese nicht mit denen übereinstimmen, die in unserem nagelneuen Gewässerführer verzeichnet sind. Statt um
16.00 Uhr, wie es dort drin steht und wie es uns nun auch wunderbar in unseren Tagesplan passen würde, findet der nächste Schleusengang erst
wieder um 17.00 Uhr statt. Für diejenigen, die nicht solange warten wollen, gibt es eine Umtragemöglichkeit mit Lorenbahn. Was aber jetzt so
richtig, ganz außerordentlich unschön ist, ist die Schlange von um die acht Kanus, die sich vor dieser Ausstiegstelle gebildet hat und deren
vorläufiges Ende von uns markiert wird. Innerhalb der nächsten halben Stunde ändert sich daran nichts. Solange dauert es, bis die ganzen
Wartenden ihr Gepäck aus dem Boot, ihr Boot aus dem Wasser und auf die Lorenbahn gehievt und das ganze abtransportiert haben, ehe nach
einer gefühlten Ewigkeit irgendwann die leere oder auch von in Gegenrichtung paddelnden Wassersportlern wieder neu beladene Lore wieder
auftaucht. Die Rote Rotte ist gerade an einer der vordersten Plätze zugange und einer ihrer Mitglieder spielt den Kompetenten, als er
vorschlägt, wir sollten unser Boot doch eben an den anderen vorbeitragen, das wäre ja wohl das leichteste. Dem ist aber leider nicht so, und
so warten wir brav, bis ein Boot nach dem anderen verschwunden ist — zuletzt zwei, die von einer partnerlosen Frau, dafür aber mit drei Jungs
gesegneten Frau kommandiert werden und einem, das von einem partnerlosen und von einem Jungen begleiteten Mann geleitet wird. Dann sind endlich
wir an der Reihe. Die Lore befindet sich wie schon die beiden, die wir am Vortag benutzt haben, in gutem Zustand. Die Distanz, die wir zu
überwinden haben, beschränkt sich auf etwa 100 Meter. Dann laden wir unsere Sachen wieder ab, müssen aber einem entgegenkommenden Paddler erst
Zeit für die Reifung der Erkenntnis lassen, dass er mit seinem Boot erst auf die Lore kann, wenn er uns Platz lässt, damit wir mit unseren Sachen
von hier verschwinden können. Kurze Zeit später können wir endlich wieder die Paddel schwingen.
Wir befinden uns nun auf dem Großen Labussee, der
sich den ersten Teil seines Namens redlich verdient hat. Wieder wird uns bewusst, wie sehr sich der Charakter dieser Tour mit der Größe der Seen
verändert hat. Hinzu kommt, dass wir die Grenzen des
Müritz-Nationalparks nun hinter uns gelassen haben
und uns nun auf einer offiziellen Bundesschiffahrtsstraße befinden. Von nun an werden wir uns den Weg mit motorisierten Wasserfahrzeugen
teilen müssen. Dafür sind die Ausfahrten der Seen jetzt deutlich gekennzeichnet. Langes Suchen wie zuvor auf dem Useriner See sollte uns
also ab jetzt erspart bleiben. Wir paddeln entlang des Nordufers Richtung Osten. Zwischenzeitlich müssen wir einen größeren Bogen um einige
Reusen machen, die unter der Wasseroberfläche ausgelegt sind. Das Wetter hat sich mittlerweile deutlich gebessert. Immer wieder kommt einmal
die Sonne zum Vorschein. Die wenigen Motorboote, die hier unterwegs sind, verteilen sich weiträumig und stören uns nicht. Das ändert sich auch
nicht dramatisch, als wir den See wieder verlassen und erneut in einen
Havelabschnitt einfahren.
Das zum schiffbaren Kanal ausgebauten Gewässer
unterscheidet sich allerdings deutlich von den engen, naturbelassenen Abschnitten, die hinter uns liegen. Statt von Schilf werden die Ufer hier
von Holzpfählen begrenzt. Dahinter sind meist nur Bäume zu sehen. Etwas mehr als 3 km liegen noch vor uns. Noch einmal überholen wir die Rote
Rotte und wechseln ein paar Sprüche mit der Bier trinkenden Besatzung. Dann wird das Ende des Havelkanals sichtbar und zu unserer Rechten taucht der
Campingplatz von Groß-Quassow
auf.
Da sich von der Havel aus schlecht anlegen lässt — die wenigen Stege sind von zahlreichen Leuten bevölkert — paddeln wir noch ein paar
Meter auf dem Woblitzsee, um zum offiziellen
Kanu-Anlandeplatz
zu gelangen. Auch auf diesem Campingplatz geht es recht lebhaft zu. Nicht nur,
dass er sehr groß und recht voll zu sein scheint. Vom Zentrum des Platzes ertönt durchdringende Disco-Musik — nichts für Leute, die sich
nach Ruhe und Abgeschiedenheit sehnen. Ansonsten ist der Platz sehr schön. Von den hübsch terassierten und von hohen Bäumen bestandenen Hängen
aus lassen sich wunderschöne Ausblicke über den langgestreckten Woblitzsee erhaschen.
Die Standortwahl für unser Zelt fällt uns schwer, nachdem wir das Boot an Land gezogen haben. Das absolute Sahnestückchen ist die Landspitze
an der Mündung der Havel in den Woblitzsee, aber die ist längst von einer Gruppe Jugendlicher eingenommen. Wir geben einer Stelle am Havelufer
den Vorzug gegenüber einer ähnlichen am Seeufer, da wir so etwas weiter vom Epizentrum der Platz-Beschallung entfernt sind. Allerdings verzichten
wir damit auf die Nachbarschaft einer Floß-Besatzung, die in unmittelbarer Nähe an einem eigens für Floße geschaffenen Anlegeplatz ankert.
Dafür liegt unser Zelt genau zwischen dem der partnerlos reisenden Frau mit den drei Jungs und dem des partnerlos reisenden Mannes mit dem einen
Jungen, mit denen wir wenige Stunden zuvor an der Schleuse warten mussten. Hoffentlich verhindern wir damit nicht eine mögliche Romanze —
die Jungs scheinen sich untereinander jedenfalls schon ein wenig angefreundet zu haben.
An der weit von unserem Zelt entfernt liegenden Rezeption bekommen wir nach unserer Anmeldung für eine Nacht zu 13 Euro einen Mietvertrag
ausgehändigt. Außerdem erhalten wir eine elektronische Duschkarte, die unseren Wasserverbrauch unter der Dusche sekundengenau erfasst und
mit einem Prepaid-Guthaben von 10 Euro aufgeladen ist. Das sollte reichen! Wir widerstehen den zahlreichen kulinarischen Verlockungen, die
der Campingplatz zu bieten hat — neben einem Restaurant, das sogar Frühstück anbietet, steht ein LKW mit Wiesenhof-Bruzzler-Werbung
auf dem Gelände, der vermuten lässt, dass hier an diesem Abend noch irgendein Event stattfindet, bei dem man sicherlich auch Grillhähnchen
ergattern kann — und bereiten uns Erasco-Kohlrouladen mit Kartoffelpüree aus unserem Reiseproviant zu. Den Lübzer Pils-Flaschen, die
im Laden angeboten werden, bringen wir weniger Widerstandskraft entgegen. Nach dem obligatorischen Spülen packen wir uns zwei Exemplare
davon ein.
Den Rest des Abends verbringen wir mit Kniffeln, gegenseitigem Vorlesen aus dem Buch, das wir uns für diesen Urlaub ausgeliehen haben —
dem Katzen-Krimi "Virus im Netz" von Rita Mae Brown — und zwangsläufig mit dem Hören DJ-Ötzi-lastiger Musik. Im Waschraum unternehme ich erste
Versuche, den Akku meines Handys aufzuladen, was ich vor Beginn des Urlaubs dummerweise versäumt habe. Allzuviel bringen die zehn Minuten
vor, während und nach des Zähneputzens allerdings nicht. Erbaulicher ist da der Rückweg vom Sanitärgebäude zu unserem Zelt, der für seine
Länge mit herrlichen Aublicken über den in der Dämmerung liegenden Woblitzsee entschädigt. Dennoch hoffen wir, auf diesen Weg heute Nacht
verzichten zu dürfen, als wir in unser Zelt schlüpfen.